Norbert Tadeusz und der collagierende Blick

Dem Werk des gebürtigen Dortmunders Norbert Tadeusz (Jahrgang 1940) kann man sich von vielen Seiten her nähern. Wollte man den physischen Zugang betonen, so würde man sich wohl bevorzugt seinen Fleisch-Bildern widmen. Deren immer wieder obsessiv durchmessene Bandbreite reicht vom prall ausgekosteten Frauenakt bis zum tierischen Kadaver im Schlachthaus. Begehren und Blut. Vital und letal.

Doch es gibt nicht nur diese (bestürzend) sinnliche, sondern auch eine übersinnliche, traumverlorene Dimension dieses Schaffens, die sich geisterhaft in allgegenwärtigen Schatten zeigt. Diesen Aspekt fasst nun das Museum Bochum in den Blick.

Die gemeinsam mit der Düsseldorfer Galerie Gmyrek in relativ kurzer Frist zusammengestellte Auswahl erstreckt sich aufs erste und zweite Geschoss des Hauses. Besonders stolz ist Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski darauf, dass er erstmals Tadeusz’ Collagen zeigen kann. Sie lassen ermessen, wie sehr auch bei den großformatigen Gemälden ein „collagierender Blick“ die Wirklichkeit abtastet, zerlegt und neu fügt.

Schatten verleihen den zuweilen drastischen, gar schockierenden Figuren (nackte Frauenleiber in Situationen der „Verfügbarkeit“ oder der embryonalen Schutzbedürftigkeit) etwas Doppelbödiges, Unwirkliches. Fleisch ist nicht nur Fleisch. Da fällt auch schon mal ein Schatten so unvermittelt, als wolle er den vergänglichen Körper skelettieren, ihm so seine Grenzen vorführen. Überhaupt werden Mühsal und Qual der Körperlichkeit sichtbar – eher, als dass seine (auch abgründigen) Freuden sich aufdrängten.

Schatten modellieren die Körper. Sie verleihen ihnen Plastizität, sie können aber auch verfremdend und verstörend wirken, schlimmstenfalls Angst auslösen. Norbert Tadeusz erklärt, dass ihn die „Schauseite“ seiner Aktmodelle (die diese ihm am liebsten präsentieren möchten) überhaupt nicht interessiere. Er wartet wohl auf den Moment, wo das Ganze umschlägt in etwas, das auch vergeistigt genannt werden kann. In solchem Sinne hat er auch eine Schwangere gemalt, die als Tänzerin zu einigen Verrenkungen im Dienste der Kunst bereit und damit „zuhanden“ war. Da mag nicht nur nützlich, sondern auch erregend gewesen sein. Doch es verweist auf etwas Jenseitiges. Mit Fenster- und Bilder-Rahmen sowie Leitern (u. a. in seinen Atelier-Ansichten) lässt der Künstler übrigens häufig die christliche Kreuzesform anklingen, ohne sie aufdringlich herbeizuzitieren oder gar zu exponieren.

Nun ließe sich gewiss eine generelle, weit ausschweifende Kunstgeschichte des Lichtflusses ebenso wie eine der Schatten-Malerei verfassen. Harte Schlagschatten etwa waren lange verpönt, dann wieder (z. B. nach Caravaggio) ein anderes Maß der Dinge. Bei Tadeusz sind Schatten tatsächlich eine Hauptsache. Sehr formbewusst baut er seine Bilder. Der Verlauf von schattigen Linien, Flächen und Feldern erzeugt allemal Irritation, lässt neue imaginäre Räume entstehen, in denen sich der irrende Blick des Betrachters erst einmal verfängt und nur halbwegs zurechtfindet.

Es ist, als werde da ein zweites Leben, eine geheime Parallelwelt bis an die Grenze der Sichtbarkeit gehoben. Gefährlich genug. Zuweilen verquicken sich die Schatten hier so körperlos, dass sie ein eigenes Schattenreich bilden. Ist dort die Dingwelt lebendiger als der Mensch?

Doch solche Zuschreibungen wären Tadeusz wahrscheinlich schon viel zu viel. „Ich male einfach“, sagt er. Darüber reden sollen andere. Oder auch schweigend schauen. Trotzdem kann der Beuys-Meisterschüler und spätere Akademielehrer Tadeusz – abseits der Deutung einzelner Bilder – auch ins beseelte oder betrübte Reden geraten. Von der bleibenden Hypothek des Weltkriegs, die (nicht nur) auf seiner Generation laste, aber leider aus dem allgemeinen Bewusstsein schwinde, ist dann sehr ernsthaft die Rede. Von politischen Enttäuschungen der letzten Jahre. Vom allfälligen Kleinbürgertum, das heute sämtliche anderen Schichten verdränge. Davon, dass die Ausübung der Kunst ihn leidlich ernährt, aber keinesfalls reich gemacht habe. Ein teures Atelier in Düsseldorf habe er einst aufgeben müssen…

Zurück zum vieldeutigen Schattenwurf. Bisweilen verbindet sich das Schattenhafte mit einem althergebrachten Motiv der bildenden Kunst: Maler und Modell. Verstörende Sicht von schräg oben: Da reckt sich der Schatten des Künstlers (der beispielsweise hoch auf einer Leiter steht) bedrohlich über die völlig entblößte, hilflos, ja geschunden wirkende Frau. Filmkenner werden hier vielleicht an Jacques Rivettes Meisterwerk „La belle noiseuse“ („Die schöne Querulantin“) denken, jenes ungemein intensive Wogen der Passion zwischen Maler (Michel Piccoli) und Modell (Emmanuelle Béart). Auch dabei war letztlich etwas Spirituelles und Sakrales im Spiel.

Schatten erwächst aus Licht. Tadeusz sucht immer wieder gern die besonderen Lichtverhältnisse Italiens auf. Noch dazu kann er dort sein profundes kunstgeschichtliches Wissen anhand der alten Meister mehren. Tadeusz erinnert sich: Bereits Plinius der Ältere (ca. 23-79 n. Chr.) habe sinngemäß geschrieben, die Malerei sei auch nicht mehr das, was sie einmal war. So uralt ist mithin das Nachsinnen über die Krise der Kunst – und so oft ist sie seither in strahlenden Augenblicken glückhaft überwunden worden.

„Schatten“ – Bilder von Norbert Tadeusz. Museum Bochum, Kortumstraße 145 in 44777 Bochum. Tel. 0234/910-4230. Bis 4. Oktober 2009, Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. Katalog 20 €.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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