TV-Nostalgie (8): „Mit Schirm, Charme und Melone“ – ein Fall von Pop-Kunst

Was lief am 18. Oktober 1966, einem Dienstag, erstmals abends im ZDF-Programm? Nun, es war der Auftakt zu einer Serie, die schnell zum Überraschungserfolg geriet und bald legendären Status erlangte.

„Mit Schirm, Charme und Melone“ (Original „The Avengers = „Die Rächer“) hieß die britische Reihe, eine rasante Mixtur aus Agentenfilm, Krimi und Science Fiction; mit blühender Phantasie erdacht und anfangs in kräftigem Schwarzweiß ausgemalt, elegant und humorvoll gespielt, mit (ironisch abgefederter) Action gepfeffert. Übrigens brachte der deutsche Titel – viel besser als der englische – einige Essenzen der Reihe auf den Begriff.

Der Gentleman und die starke Frau

Die beiden Hauptpersonen, die da in schöner Regelmäßigkeit Großbritannien und die (westliche) Welt vor den apokalyptisch gefährlichen Hirn-Ausgeburten teuflisch böser Genies retteten, waren einfach umwerfend. Agent John Steed (Patrick Macnee) war ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, dem der edle Stockschirm, die Melone und ein Oxford-Schlips bestens standen.

Emma Peel (Diana Rigg) und John Steed (Patrick Macnee) (© ZDF/Kinowelt - Screenshot aus http://www.dailymotion.com/video/x17ru53_mit-schirm-charme-und-melone-f-01-die-roboter-leicht-gekurzte-version_shortfilms)

Emma Peel (Diana Rigg) und John Steed (Patrick Macnee) (© ZDF/Kinowelt – Screenshot aus http://www.dailymotion.com/video/x17ru53_mit-schirm-charme-und-melone-f-01-die-roboter-leicht-gekurzte-version_shortfilms)

Mindestens ebenbürtig stand ihm Emma Peel (Diana Rigg) zur Seite, für damalige Verhältnisse ungemein emanzipiert und fast schon unverschämt sexy, wenn sie in ihrem berühmten Lederanzug antrat und Karateschläge austeilte, um all die fiesen Finsterlinge Mores zu lehren. Klug war sie selbstverständlich auch noch. Für ein gewisses Knistern sorgte noch die Frage, ob sie und John Steed etwas miteinander anfangen würden, was über den kriminalistischen Eros hinausging.

Bizarre Einfälle

Ich habe mir jetzt auf DVD (Edition bei Kinowelt) noch einmal drei Folgen der famosen Reihe angeschaut, jeweils rund 50 MInuten lang. „Stadt ohne Rückkehr“ folgt gnadenlos konsequent dem bizarren Einfall, dass von geheimen Mächten zunächst ein Ort nach und nach von seinem eingesessenen Bewohnern entvölkert wird, um dort – vom Lehrer bis zum Pfarrer – falsche „Stellvertreter“ anzusiedeln. Es sind nur die ersten mörderischen Schachzüge, um allmählich ganz England zu erobern. Auf solche Ideen muss man erst einmal kommen.

Die Episode „Die Totengräber“ ist kaum minder wahnwitzig. Von einer als Klinik getarnten Zentrale aus wird das englische Raketenwarnsystem attackiert. Emma Peel verdingt sich als Krankenschwester, um hinter die Kulissen zu blicken.

Böse Computer-Utopie

Gewiss: Die Bösewichter sind stets sogleich als solche kenntlich, ihre Machenschaften sind gruselig und lachhaft zugleich. Man sieht einen manchmal herrlich unsinnigen Mummenschanz, der aber seinerzeit ästhetische Avantgarde war und durchaus als Form der Pop-Kunst durchgehen kann. Die englischen Ursprünge der Serie (Start 1961) fallen nicht von ungefähr in die Zeit der ersten James-Bond-Filme.

Nicht nur die in Deutschland als Debütfilm ausgestrahlte Folge „Die Roboter“ („The Cybernauts“) greift gedanklich weit voraus. Zwar sind die elektrischen Kampfmaschinen, die da ihr brutales Unwesen treiben, noch von etwas unvollkommener Bauart, doch träumt ihr Schöpfer schon auf wirklich beängstigende Weise von Computern, die eines nicht so fernen Tages die Menschen ersetzen sollen.

In einem bemerkenswerten Dialog mit jenem wahnsinnigen Dr. Armstrong sieht John Steed schon die „elektronische Diktatur“ und den „kybernetischen Polizeistaat“ heraufdämmern. Dem muss natürlich Einhalt geboten werden, denn – so Steed mit gekräuseltem Lächeln – „Menschen aus Fleisch und Blut sind mir lieber“. Wer wollte ihm da widersprechen?

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Vorherige Folgen: „Tatort“ mit „Schimanski“ (1), „Monaco Franze“ (2), „Einer wird gewinnen“ (3), „Raumpatrouille“ (4), „Liebling Kreuzberg“ (5), „Der Kommissar“ (6), „Beat Club“ (7)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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