Passagen durch die Paarwelt – „Rendezvous in Paris“ von Eric Rohmer

Von Bernd Berke

Sie können nicht einfach lieben oder es lassen, sondern müssen alles ergründen. Nirgendwo sprechen die Menschen ausgiebiger über Feinheiten ihrer Gefühle, als in den Filmen von Eric Rohmer. Nun bittet der Altmeister zum „Rendezvous in Paris“.

Die Figuren der drei Episoden erleben Passagen durch die Paarwelt, sie sind am Ende jeweils allein. Der Titel könnte auch „Trennungen in Paris“ lauten. Zumal die Frauen fließen im Redestrom ungeklärter Gefühle. Im Zweifelsfalle sind sie es jedoch, die bewußter damit umgehen und sich einem Zustand kristalliner Klarheit nähern.

Wir sehen sie und ihre zeitweiligen Partner in einer Art Sonderwelt, ohne Ablenkung von amourösen Fragen. Allenfalls die Stadtlandschaft von Paris spielt vage hinein. Episode eins: „Rendezvous um 7″. Esther trägt den Keim der Eifersucht in sich. Ist ihr Freund Horace treu? Es hebt ein zauberischer Reigen der Zufälle an: Esther wird von einem jungen Mann angesprochen, der ihr beim Flirt die Geldbörse stiehlt. Ein anderes Mädchen findet das leere Portemonnaie und bringt es der Besitzerin. Sie nimmt Esther mit zu ihrem abendlichen Rendezvous – und ist ausgerechnet mit Horace verabredet. Wie im Fluge lösen sich nun die Verbindungen. Am Ende streben alle auseinander, hinweg ins Ungewisse. Es wirkt wie ein federleichtes Rokoko-Schäferspiel oder eine Liebes- und Lügen-Komödie von Marivaux.

Die Leiden der amourösen Festlegung

Episode zwei: „Die Bänke von Paris“. Ein Paar, beiderseits anderweitig gebunden, streift tagsüber ziellos durch verschiedene Parks. Ein mehr oder weniger poetisches Spiel der Liebe, eine Versuchung mit Grenzen, denn die Frau läßt sich nur hauchzart küssen. Sie scheut die Leiden der Festlegung, des Gewählthabens: Als sie ihren Gatten mit einer anderen in jenes Stundenhotel ziehen sieht, das sie eben – endlich zu allem entschlossen – selbst mit ihrem Liebhaber aufsuchen wollte, hebt sie diese Zweitbeziehung kurzerhand auf. Nun fühlt sie sich auf den Mann zurückgeworfen, der doch nur eine phantasievolle Ergänzung zum Ehealltag sein sollte.

Episode drei: „Mutter und Kind, 1907″. Ein Maler soll einer schwedischen Touristin Paris und besonders das Picasso-Museum zeigen. Doch schon bald ist er die unterkühlte Blondine leid. Vor Picassos Mutterbildnis sieht er ein brünettes Mädchen und folgt ihr wie magnetisiert durch die Straßen. Schließlich kommt sie mit in sein Atelier. Man spricht über Kunst und Leben, man versteht sich, man geht freundlich auseinander. Eine undeutliche Möglichkeit. Ein kurze flackernde Vision davon, wie das Leben verlaufen könnte. Mehr nicht – und doch ungeheuer viel. In wenigen Momenten leuchten ganze Biographie-Linien samt Nebenwegen auf.

Rohmer hat auch diesmal wieder diese frühlingshaften jungen Frauen für die Kamera entdeckt, die sich so natürlich bewegen, als sei gar niemand zugegen. Der Faun muß eine mythische Bachquelle kennen, der Nymphen entsteigen. Sein neues Werk hat wieder all diese kleinen Szenen zum Verlieben, dieses unvergleichliche Fluidum.

„Rendezvous in Paris“ ist abermals ein Rohmer-Film wie flirrendes Sonnenlicht zwischen Baumblättern. Es wird einem dabei ganz leicht zumute, obwohl es doch um lebenswichtige Angelegenheiten geht. Dies aber zeugt von höchster Kunst.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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