An der Krippe hat Kritik kaum Platz – Schau in Telgte erstreckt sich nun über zwei Museen

Von Bernd Berke

Telgte. Was haben Krippen mit Krimis gemeinsam? Mindestens dies: Ein relativ enges Schema von Figuren und Handlungen reizt zur Variation. Begrenzung regt die Phantasie an. Beweise in Hülle und Fülle bietet die nun auf mehr als verdoppelter Fläche ausgebreitete Sammlung des Heimathauses/Krippenmuseums im Wallfahrtsort Telgte bei Münster.

Das zweifache, weit und breit einzigartige Museum erweist sich als Publikumsmagnet: Schon fast 30000 Besucher waren seit der Eröffnung des Neubaus da – und die liegt erst zwei Wochen zurück.

Als sie gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Deutschland gebräuchlich wurden, waren Weihnachtskrippen eine kirchliche Werbeaktion. Schlaue Jesuiten entdeckten im Zuge der Gegenreformation (als der Katholizismus wieder die Oberhand gewinnen wollte) die Wirksamkeit emotionaler Bibel-Inszenierung. Hatte es zuvor praktisch nur Tafelbilder zum Thema Jesu Geburt gegeben, so waren die dreidimensionalen Krippen damals ein fortschrittliches Medium – so, als würde man heute religiöse Videoclips oder Computerspiele kreieren.

In seinem schönen Neubau aus Ibbenbürener Sandstein (Architekt: der renommierte Josef-Paul Kleihues) kann man die Entwicklung der Krippe jetzt breit auffächern. Besonders liebevoll werden kostbare Stücke aus Westfalen präsentiert, so etwa nach Art von Buddelschiffen in Flaschen hineinpraktizierte Krippenszenen aus dem Sauerland.

Übrigens: Die Heiligen drei Könige (Kaspar, Melchior, Balthasar) gehörten nicht von Anfang an zum festen Personal, sie fanden erst im Lauf der Zeit ihren Platz – und sind neuerdings wieder auf dem Rückzug, denn Krippenbauer konzentrieren sich heutzutage meist ganz auf die Kleinfamilie aus Maria, Joseph und Jesus. Ja, manchmal tritt Maria gar schon als „Alleinerziehende“ auf.

Viel Schnitzwerk fürs wohlige Gefühl

Die Fülle der Exponate rundet sich jedenfalls zu einer Geschichte des Weihnachtsfestes überhaupt, das erst gegen Ende des bürgerlichen 19. Jahrhunderts seine uns bekannte Form annahm – samt Familienseligkeit, aber auch Konsumzwang.

Während im Neubau die alten Sachen gezeigt werden, sieht man im Altbau – na, logisch – die neuen: Seit 1934 dokumentiert man in Telgte auch das jeweils aktuelle Krippenschaffen in Sonderausstellungen. Heuer sieht man (neben dem umfangreichen Dauerbestand) bis zum 28. Januar 1995 die 54. Schau. Nachdem zuletzt öfter provozierende Arbeiten gezeigt wurden (etwa Punker-Figuren nebst Ochs und Esel oder Messer, Gabel und Löffel statt der biblischen Gestalten), so bequemt sich die große Mehrzahl der Künstler nun wieder zur Konvention. Eine mit Wohlstandsmüll absichtlich verunzierte Öko-Krippe ragt schon als einsames Mahnmal heraus.

Ansonsten gibt es viel bemühtes Schnitzwerk, auf daß einem schön heimelig zumute werde. Redlich-gemütvolle Gebrauchskunst wollen wohl die meisten Besucher sehen – und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Ist ja auch wahr: „Kritische Krippen“ oder Abstraktionen haben nur im Umfeld braver Darstellungen ihren Sinn. Wenn sie überwiegen würden, wär’s fad.

Die ganze Vielfalt der Krippenproduktion zeigt sich in der internationalen Abteilung. Jedes denkbare Material wird verwendet. In Südafrika entstand die Muschelkrippe, in Alaska eine aus Walfischknochen. In Peru treibt man’s so bunt und üppig wie im Barock. Und der Krippenbauer aus Tansania läßt die Könige nicht mit Weihrauch, Gold und Myrrhe dem Jesuskind huldigen, sondern mit Feldfrüchten. Ein Medizinmann, der gleichfalls dazugehört, sieht’s mit Wohlgefallen. Ein friedsames Gruppenbild.

Museum Heimathaus Münsterland und Krippenmuseum. 48291 Telgte bei Münster, Herrenstraße 1. (Tel.: 02504/931 20). Geöffnet Di.-So. 10-18Uhr (24., 25., 31. Dez. geschlossen). Eintritt 4 DM, Kinder u. Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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