Die Bühne, das monströse Wahnsystem – Thomas Bernhards „Theatermacher“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Ein fast dreistündiger Wahnwitz-Monolog, eine qualvoll in sich selbst kreisende, alles unterschleifende Haß-Litanei gegen die rundum „widerwärtige“, „absurde“, „perverse“ Welt, unter besonderer Berücksichtigung der kunstfeindlichen „Eiterbeule Österreich“ – das muß ein Stück von Bernhard sein.

Thomas Bernhards „Der Theatermacher“, in Claus Peymanns Inszenierung jüngst zu Salzburg uraufgeführt (die WR berichtete), war am Samstag erstmals an Peymanns Noch-Wirkungsstätte Bochum zu sehen. Und wenn sich auch die zahlreich wiederholten Bösartigkeiten gegen das Alpenvolk hier abstrakter ausnehmen als eben beispielsweise in Salzburg, so sind doch immerhin große Teile des Bochumer Publikums durch langjährige Aufführungspraxis „Bernhard-geschult“. Verständnisbereitschaft, ja streckenweise auch Nachsicht für diesen eher schwachen Text sind denn auch nötig.

„Der Theatermacher“ Bruscon (Traugott Buhre), der sich gern in einem Atemzug mit Shakespeare und Goethe nennt, ist mal wieder in der hinterletzten Provinz gelandet. Die von ihm tyrannisch geführte Familientruppe (Gattin mit Dauerhusten, zwei Kinder zwischen natürlicher Widerspenstigkeit und andressierter Unterwürfigkeit) soll Bruscons monströse Welthistorien-Komödie „Rad der Geschichte“ im schmutzstarrenden Saal der Dorfkaschemme von Utzbach aufführen. Hochfliegende Ideen treffen auf widrigste Umstände. Da liegt die Wut auf alles Wirkliche nah. Bruscon unterwirft jegliche Realität seiner gigantischen Schmieren-Dramaturgie, will alles seiner Scheinwelt einverleiben. Er formt alles zum künstlichen Zeichen, zum Anlaß für Theatralik.

Der Wirt (hervorragend als fast stummer Widerpart: Hugo Lindinger), ein Alltagstölpel aus solcher Sicht, wird flugs zum bühnentauglichen Opfer eines „Pächterschicksals“ umschwadroniert. Jedes Ausstattungsstück muß millimetergenau nach Bruscons Willen plaziert werden – er setzt die Zeichen oder läßt sie setzen. Was nicht in dieses Wahnsystem, das letztlich in Theatervernichtung mündet, integrierbar ist, wie der nahebei stinkende Schweinestall und dito Misthaufen, wird verbal niedergemetzelt.

Traugott Bahre gestaltet seine Rolle wie ein überlebensgroßes Monument. Kirsten Dene hustet und keucht sich geradezu virtuos durch ihre wortlose Rolle, Josefin Platt als „Tochter Sarah“ und Martin Schwab als „Sohn Ferruccio“ sind Musterbilder der Gespaltenheit. Aus diesem scheinbar nur nörgeligen Stück so viel herauszuholen, ist bewundernswert. Darsteller (besonders Buhre und Lindinger) und Regisseur Peymann bekamen verdientermaßen einen donnernden Schlußapplaus.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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