Von Natur aus glücklich – „Katzen und der Sinn des Lebens“

Meiner Treu! Noch nie habe ich ein Buch gelesen, das dermaßen angefüllt ist mit Katzenlobpreisungen aller Art und Güte. Der britische Philosoph John Gray, Jahrgang 1948 und in olympischen Gefilden der Wissenschaften tätig (Oxford, Yale, London School of Economics), hat Dichtung und Geistesgeschichte auf katzenaffine Inhalte durchsucht und ist vielfach fündig geworden. Wir Menschen kommen in seinem Buch „Katzen und der Sinn des Lebens“ (Originaltitel: „Feline Philosophy“) weniger gut davon.

Einige Befunde, aus denen sich alles Weitere herleitet: Katzen sind offenbar prinzipiell zufrieden mit ihrem Leben, das Glück ist ihnen gleichsam angeboren, weil sie niemals an den Tod denken und nichts anderes sein wollen, als sie sind; weil sie schlicht und einfach ihrer Natur folgen und im Einklang mit den Instinkten leben, die ihnen nun mal gegeben sind. Nicht einmal Meister des Buddhismus oder Daoismus kommen ihnen an Gelassenheit auch nur annähernd gleich. Wer je eine Katze in ihren allfälligen Mußestunden länger beobachtet hat, wird dies kaum bezweifeln. Insofern führt das Buchcover in die Irre, auf dem eine grübelnde Katze dargestellt ist.

Gray zitiert Denker wie Pyrrhon von Elis und Michel de Montaigne (Seelenruhe als für den Menschen kaum dauerhaft erreichbares Lebensziel), er befragt Epikur und die Stoiker nach ihren Glücksvorstellungen, stellt uns die grundsätzliche Unruhe des Menschseins vor Augen, die Blaise Pascal im berühmten Diktum zusammenfasste, das Unglück der Gattung rühre daher, dass sie nicht ruhig in den Zimmern bleiben könne. Schlimmer noch: Der Mensch kann – nicht nur im Krieg – seine Menschlichkeit verlieren, die Katze bleibt jedoch immer eine Katze, mit allen Attributen.

Einbildung und Zerstreuung seien die flüchtigen Elemente, in denen die allermeisten Menschen sich bewegen. Auch die Philosophie, so Gray, weise letztlich keine Auswege aus unserer existenziellen Lage. Denken könne das Unglück nicht lindern, befand beispielsweise auch Samuel Johnson. Und weiter: Immerzu versuchten die Menschen, ihr Leben zur Geschichte zu machen, sich auf ein Ziel hin zu entwerfen. Daraus, aus der Angst vor dem Tod und aus der fortwährenden Sinnsuche entstehe ihr Leiden. Auch könne daraus Lebensfeindlichkeit nach Art eines Seneca erwachsen, der völlig ungebrochen den Selbstmord empfahl: „Es macht überhaupt nichts aus, an welcher Stelle Du aufhörst.“

Ganz anders die Katzen! Niemals käme es ihnen in den Sinn, für Ideen zu sterben. Wenn wir es nur vernehmen wollten, könnten sie uns Einblicke in ein anderes Sein geben, in ein Leben vor dem Sündenfall. Nun gut, das mag auf Tiere generell zutreffen, doch leben die wenigsten von uns mit einem Specht, Luchs oder Ameisenbär zusammen, viele hingegen mit Katzen, jenen Wesen also, die sich – im Gegensatz zu Hunden – niemandem unterordnen. Ihre Ethik (wenn man es denn so nennen will) sei – so paradox es klingen mag – eine des „selbstlosen Egoismus“. Sie haben kein „ungelebtes Leben“, nach dem sie sich in Sehnsucht verzehren könnten, auch werde ihre Seele nicht „vom Tod berührt“, den sie bejahend erwarteten, wenn sie sein Kommen fühlen. Woher John Gray das nur alles so genau wissen will? Sind es nicht auch wieder Zuschreibungen aus menschlicher Perspektive?

Auch grausame Details erspart uns der Autor nicht, so etwa die fürchterlichen Rituale von Katzenhassern früherer Jahrhunderte, die in Ausläufern beispielsweise bis zu René Descartes (Zitier-Hit: „Ich denke, also bin ich“) reichen, der fiese Experimente mit Katzen anstellte, um zu beweisen, dass sie keine richtigen Individuen seien. Weit gefehlt, ruft Gray aus, sie seien wahrscheinlich individueller als wir.

Der weit überwiegende Teil des Buches ist denn auch der Katzenverehrung und Katzenbewunderung gewidmet. Den alten Ägyptern galten diese Tiere als gottähnlich, ihnen wurden ganze Tempel gewidmet. Von Geschichte und Philosophie geht Gray sodann zur Literatur über und führt Texte vor allem von Autorinnen (Colette, Patricia Highsmith, Mary Gaitskill und Doris Lessing) auf, in denen Katzen den Menschen eindeutig überlegen sind. Den Katzen sei – bei allem Talent zur Ruhe – höchste Wachheit eigen, wenn es darauf ankommt, ihre Erfahrung sei intensiver als unsere, just weil sie ganz und gar sie selbst sind. Dagegen wir: so fragmentiert…

Wenn man das Buch nach der Lektüre sanft zuklappt, wird man versucht sein, sich vor der schnurrenden Spezies zu verneigen. Katzen machen uns vor, wie zu leben wäre. Doch wir können es nicht begreifen. Aber eins können wir auf jeden Fall tun: Unser Kater Freddy kriegt jetzt erst einmal eine Extraportion Futter!

John Gray: „Katzen und der Sinn des Lebens. Philosophische Betrachtungen“. Aus dem Englischen von Jens Hagestedt. Aufbau Verlag, 160 Seiten, 20 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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