Mit „Normalos“ durch die Hölle – Heinz Strunks Geschichtenband „Der gelbe Elefant“

Claudia und Andi treffen Olli und Melli „beim Griechen“. Ach, wie putzig das schon klingt. Es geht in dieser Auftaktgeschichte um zwei „Pärchen“ in Lübeck. Bekanntschaft aus dem Korfu-Urlaub. Nun sondern sie beim arg misslingenden Wiedersehen dermaßen belangloses Zeug ab („super“ und „toll“ sind fast noch die klügsten Einlassungen), dass es einen beim Lesen recht ordentlich quält.

„Bitte! Jetzt nicht auch noch das!“ So möchte man den Autor anflehen. Doch ein Heinz Strunk gibt kein Pardon. Er zieht die Sache mal wieder gnadenlos durch und beleuchtet seelische Trümmerhaufen gerne grell. Schmerzlich nahe kommt er dabei einem landläufigen „Normalo“-Sound.

Auch im weiteren Verlauf seines Erzählbandes „Der gelbe Elefant“ spürt er mit Vorliebe das Normale im Bizarren und das Bizarre im Normalen auf. Da ist zum Exempel der total gefühllose Typ in Bitterfeld mit seinem Kampfhund namens „Tyson“, der einen Kevin zu Tode beißt. Alles, was dem Hundebesitzer dazu einfällt, ist ein genervtes „Och nö“.

Familiäre Zusammenkünfte sind unterdessen fürchterlich leblos, mit zunehmendem Alter werden die Menschen unerträglich ranzig. Ihre Gesprächsversuche bröckeln und bröseln nur noch dahin. Einsam sind sie sowieso; auch dann, wenn sie zusammenhocken.

Zwischendurch ereilen uns die bodenlos dämlichen Mail-Texte des aufgekratzten Schriftsteller-Groupies Carola, die den Autor (Heinz heißt er!) zu gesellschaftlichen Aktivitäten in ihrem Schlepptau anstacheln will. Und ja, sie fasst ihre Vorstellung vom gelingenden Leben tatsächlich in grenzdebile Wendungen wie „lachi lachi spaßi spaßi saufi, saufi“. Auch da winken Lesende wohl ermattet ab. Gnade! Aufhören! Genug!

Dabei müsste man Heinz Strunk eigentlich danken, dass er sich solcher Themen annimmt, die die meisten anderen scheuen. Aber erhebt er sich etwa manchmal auch über die leider nicht „schweigende Mehrheit“? Ja, soll er sich denn empathisch mit allen gemein machen? Auch mit jenen mehrfach auftretenden, hoffnungslosen Nerds oder Schlaffis, die schon in ihren jungen Jahren am Ende sind?

Strunk, ein Erzähl-Berserker vor dem Herrn, scheint beim Schreiben ein gehöriges Maß an Aggression zu mobilisieren. Er schickt seine Figuren durch die Hölle, zuweilen auch mitten hinein. Beispielsweise den vermeintlich kerngesunden Fitness-Freak und Selbst-Optimierer Werner (75), der eine Osteoporose-Diagnose ignoriert, sich folglich beim Workout die Gräten bricht und nicht mehr hochkommt. Nun eine abermals quälende Schilderung: 23 Tage harrt dieser total vereinsamte Mensch vor Schmerzen wimmernd und ohne Nahrung aus. Dann sollen endlich die Leute kommen, die seine Wohnung termingerecht übernehmen wollen…

Grässlich spannend auch die Story über jenen Motivationstrainer und „Keynote-Speaker“ mit „Arschloch-BMW“, der sich vor einem lukrativen Vortragstermin mal eben das Neandertal bei Düsseldorf anschauen will. Er verirrt sich, gerät in ein fast undurchdringliches Gestrüpp, schlägt sich wütend hindurch – und begegnet auf der anderen Seite veritablen Vorzeitmenschen, die ihn fesseln und offenbar fressen wollen… Kann er sie mit seiner geschulten Überredungs-Stimme zur Umkehr bewegen?

Mehr wird hier nicht verraten – auch nicht, was es mit dem gelben Elefanten auf sich hat. Die Grundrichtung des (dennoch abwechslungsreichen) Bandes dürfte klar sein. Es wäre zu empfehlen, dieses Buch in gefestigter seelischer Stimmung zu lesen. Nanu! Habe ich jetzt womöglich eine dieser blöden „Trigger-Warnungen“ ausgesprochen? Sorry, soll so bald nicht wieder vorkommen.

Heinz Strunk: „Der gelbe Elefant“. Rowohlt. 208 Seiten, 22 Euro.

 

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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