Rätsel des Alltags: „Verschwundene“ Kindersachen

Wer mit Kindern lebt, muss sich auf allerlei Abschiede und Verluste gefasst machen.

Warum das Bild Glasnudeln zeigt? Weil die noch nicht verschwunden sind. (Foto: BB)

Warum das Bild Glasnudeln zeigt? Weil die noch nicht verschwunden sind. (Foto: BB)

Nein, ich spreche mal nicht vom – im Nachhinein betrachtet – rasend raschen Vergehen dieser oder jener Lebensphase und den zugehörigen, liebgewordenen oder auch enervierenden Gewohnheiten bzw. Ritualen; auch nicht von den entscheidenden biographischen Wendungen, sondern ganz profan: von relativ nebensächlichen, letztlich geringfügigen Dingen, die man in der Summe dennoch vermisst. Jedenfalls für eine gewisse Zeit.

Mütze, Schal und vieles mehr

So sind in letzter Zeit einige Sachen rätselhaft spurlos verschwunden. Alle chronologisch sortierten Rekonstruktionsversuche, Recherchen und Nachfragen haben nicht gefruchtet. Beispiel: Die Mütze und der Schal, die beim spätherbstlichen Wochenende auf einem Ponyhof abhanden gekommen sind, waren partout nicht mehr aufzufinden. Anderen fehlen seither Reitstiefel, obwohl die Namen darin standen. Das deutet schon ein wenig auf willkürliche Inbesitznahme hin, um es nicht gleich diebisch zu nennen.

Bald darauf fehlte eine Regen- und Matschhose. Vorher gerodelt, nachher im Kino gewesen. Beim Klamottenwechsel auf dem dortigen WC muss sich besagte Kinderhose wohl in Luft aufgelöst haben. Die Trantüte am Tresen des Vorortkinos will anderntags nichts davon wissen. Ein einziges Achselzucken. Futschikato, wie man früher so sagte. Luxusprobleme, ich weiß. Dennoch ärgerlich.

Ob sich die Dinge irgendwo treffen?

Schon vorher hatte sich eine Winterjacke „aus dem Staub gemacht“. Auch hier bleibt der dringliche Verdacht, dass jemand sie gut gebrauchen konnte… Denn das Abklappern aller Orte, an denen es passiert sein konnte, hat nichts und wieder nichts gebracht. Die neueste Verlustmeldung betrifft einen blauen Wollrock, dessen Verbleib beim besten Willen nicht geklärt werden kann.

Ob sich all diese Dinge an einem geheimen Ort versammeln und kichernd ihre Geschichten austauschen? Und dabei haben wir von Kleinigkeiten wie Stiften, Trinkflaschen und Stofftieren aus der zweiten Reihe (plötzlich in Ungnade gefallen) noch gar nicht geredet.

Sehr seltsam, das alles. Sehr mysteriös.

Es mag ein Anteil von mangelnder Sorgfalt und Unachtsamkeit mit hineinspielen. Doch es muss hier auch vom schwindenden Vertrauen in manche Mitmenschen geredet werden. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass etwas fort ist, hat man es nur einmal liegen gelassen, ist offenkundig gewachsen. Man könnte es auch deutlicher mit klischierten Redensarten sagen: Einige Leute klauen anscheinend wie die Raben, wenn etwas nicht niet- und nagelfest ist. Bedenkenlos. Oder verhält sich alles ganz anders?

Katzenkopfförmiges Portemonnaie

Den betrüblichsten Fall in dieser Hinsicht muss ich jetzt auch noch eben schildern. Es begab sich im letzten Sommer. Unsere Tochter hatte über etliche Wochen hinweg ihr Taschengeld gespart und getreulich in einem Portemonnaie verwahrt. Selbiges deutete eindeutig auf ein Mädchen hin, denn es war katzenkopfförmig und auch farblich entsprechend gestaltet. Warum ich das eigens feststelle? Abwarten.

Als hätte sie etwas geahnt, hat unsere Tochter – aus welchen Beweggründen auch immer – das Portemonnaie im Urlaubsdomizil versteckt; allerdings nicht übermäßig geschickt, nämlich oben auf einem Kleiderschrank der Ferienwohnung. Bei der Abreise hat sie es vergessen und es fiel ihr erst nach einigen Tagen daheim wieder ein, wohin sie das Geld gelegt hatte. Also sofortiges Telefonat mit den ausgesprochen netten Vermietern, die auch gleich nachgesehen haben.

Schmalbrüstige Unschuldsvermutung

Erraten. Die Geldbörse war samt Inhalt nicht mehr da. Da kamen eigentlich nur unsere FeWo-Nachfolger in Frage, deren Namen ich gottlob nicht kenne. Die Vermieterin, der man auch einige Menschenkenntnis zutrauen darf, befand, bei jenen habe sie gleich ein ungutes Gefühl gehabt. Ihnen sei sozusagen alles zuzutrauen. Unverschämt fordernd und unangenehm pampig seien sie aufgetreten. Beweisbar ist es natürlich nicht, also kann man auch nicht ohne weiteres Vorwürfe erheben. Aber die rechtsübliche Unschuldsvermutung scheint mir in diesem Falle ausgesprochen schmalbrüstig daherzukommen.

Man muss sich das einmal vorstellen: ein Kind zu bestehlen, das sich seine paar Euro mühselig zusammengespart hat. So verkommen muss man erst einmal sein. Wenn ich daran denke, kann ich eine leicht aggressiv behauchte Stimmung nicht gänzlich unterdrücken. Wie bitte? Solchen Hackfr Typen müsse man eigentlich „eine Abreibung verpassen“? Das haben Sie jetzt aber gesagt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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1 Antwort zu Rätsel des Alltags: „Verschwundene“ Kindersachen

  1. Matta sagt:

    Ich rate dringend zur Vorsicht!
    Menschen solchen Schlages (Ha!) sind, was „Abreibungen“ betrifft, meist wesentlich geübter und auch skrupelloser, so dass eine ehrliche, direkte Konfrontation im Ergebnis eher unerfreulich für einen selbst wäre.
    Allerdings ist auch anzuzweifeln, dass eine intellektuelle und/oder sittliche Auseinandersetzung zielführend wäre. Ein Dilemma!

    Lieber Bernd, ich kann deinen Ärger nur zu gut verstehen! Es gibt einfach fiese Drecksäcke, und solchen kann man meist weder moralisch (interessiert sie nicht) noch physisch (1. sind sie eh stärker, 2. will man ja auch nicht selbst so tief sinken) beikommen. Wollen wir hoffen, dass irgendwo auf der Welt eine ausgleichende Gerechtigkeit lauert!

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