Allen Leuten gefallen – Ein Buch zur Unzeit: Christa Wolfs „Was bleibt“

Von Bernd Berke

Es geschieht selten, daß ein zehn Jahre zuvor verfaßter Text beim Erscheinen solches Aufsehen erregt. Die Debatte über Christa Wolfs „Was bleibt“ entzündet sich vor allem am Zeitpunkt der Veröffentlichung. Erst nach der DDR-„Wende“ konnte bzw. wollte sie ihre Aufzeichungen von 1979 vorlegen, in denen sie schildert, wie ihr Haus damals einige Wochen lang von der Stasi observiert wurde.

Auch Leute, die sonst abgewogen geurteilt hatten, fallen jetzt über die vermeintliche DDR-„Staatsdichterin“ her, die sie all die Jahre über letztlich doch gewesen sei und die jetzt nur noch späten „Gratismut“ beweise, um sich ein Alibi zu verschaffen. Walter Jens und Günter Grass nehmen Christa Wolf gegen derlei Vorwürfe in Schutz.

Der Anlaß der Debatten umfaßt nur 108 Seiten. Da ist die literarische Rede vom psychischen Druck auf „Objekte“ staatlicher Beobachtung. Viele Passagen dürften in ihrer Substanz auch auf schlimmere Fälle anwendbar sein. Es ist eine Qualität, daß das Buch am vergleichsweise harmlosen Beispiel das dennoch Zermürbende nachfühlen läßt. Die nach geheimem Plan wechselnden Spitzel-Autos mit geisterhaften „Männern ohne Eigenschaften“ als Insassen, die vor ihrer Wohnung postiert sind – sie schaffen hier keine direkte, konkrete Bedrohung, sondern eine kaum greifbare, kaum mit Worten zu fassende Unwirklichkeit, die in alle privaten Dinge einsickert.

Das Leben wird allmählich vergiftet, vergällt. Mißtrauen wuchert, auch gegen Freunde. Schließlich ist es egal, ob die Autos da sind oder nicht – dieses Gefühl ist immer da: es irrlichtert irgendwo zwischen Unruhe, Fühllosigkeit und allgemeiner Verwunderung. Und schließlich wächst die Bereitschaft zur Resignation: Was bleibt? Gibt es überhaupt Zukunft?

Die Autorin äußert öfters ein merkwürdiges, fürsorgliches Interesse für die Lebensumstände der Stasi-Spitzel, als seien es ihre Schutzbefohlenen. Meist sanftmütig, leise und tastend auch die Sprache. Es läßt sich an Textstellen belegen: Die volle Wahrheit zu offenbaren, spart Christa Wolf sich anno ’79 für später auf – oder überläßt es lieber gleich der nächsten Generation. „Mein beschämendes Bedürfnis, mich mit allen Arten von Leuten gut zu stellen“, schilt die Autorin sich einmal selbst. Dies Bedürfnis ist menschlich mehr als verzeihlich, politisch aber naiv. Vielleicht ist es das Hauptproblem der Christa Wolf.

Christa Wolf: „Was bleibt“. Luchterhand, Frankfurt/Main. 108 S., 24 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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