Farce von Dario Fo in Dortmund: Unbequeme Fragen nach dem Tod eines Anarchisten – und scharfe Kritik am Intendanten

Von Bernd Berke

Dortmund. Mitten in der Premiere des Dario Fo-Stücks „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ hielt Claus-Dieter Clausnitzer das Programmheft in die Höhe und rief, im ironischen Brustton der Überzeugung: „Wir haben hier doch keine Zensur!“

Die Zuschauer quittierten die Anspielung mit Beifall. Gemeint war die Entscheidung des Generalintendanten Paul Hager, eine erste Fassung des Programmhefts wegen einiger, nicht gerade polizeifreundlicher Karikaturen und wegen eines Aufsatzes aus der Feder von Peter-Paul Zahl nicht zu veröffentlichen. Schon vor der Aufführung, die sich übrigens auch Paul Hager nicht entgehen ließ, kursierten im Publikum achtseitige Sonderdrucke, herausgebracht von mehreren alternativen Stadtmagazinen, in denen (neben dem von Hager gestrichenen Zahl-Aufsatz) schärfste Angriffe gegen den Intendanten selbst zu lesen waren.

Neben all dem gab es auch noch Theater, und zwar nicht von der schlechtesten Sorte. Das vor elf Jahren entstandene Stück des Italieners Dario Fo rollt die höchst zwielichtigen „Zufälle“ auf, die sich bei polizeilichen Untersuchungen gegen einen Anarchisten häufen. Ihm wird ein Attentat zur Last gelegt, das in Wahrheit von Faschisten begangen wurde. Während eines Verhörs stürzt der fälschlicherweise Beschuldigte tödlich aus einem Fenster im vierten Stock des Polizeigebäudes: Selbstmord, Unfall, unterlassene Hilfeleistung? Diese unbequemen Fragen zu stellen, setzt Dario Fo die Figur des „Verrückten“ ein, der behende in jede Rolle schlüpfen kann, auch in die eines Untersuchungsrichters, der die Polizei aus einer Verwirrung in die andere stürzt.

Dario Fo hat eine Farce geschrieben, also kommt es nicht auf subtile Charakterzeichnung, sondem auf Situationskomik an. und die entfaltete sich vor dem überwiegend jungen Publikum im Studio der Dortmunder Bühnen bisweilen so turbulent, daß der Spielraum zu eng wurde. Aber dies ist eben der Preis für den Kontakt zwischen Darstellern und Zuschauern, wie er im Studio möglich ist.

Abgesehen von einigen Text-Unsicherheiten, die wohl dem Premierenfieber zuzuschreiben sind und in dem temporeichen Stück nicht sehr ins Gewicht fallen, präsentierte sich das Ensemble (Regie: Sebastian Bissmeier) in guter Spiellaune. Allen voran, stellenweise umwerfend komisch, Claus-Dieter Clausnitzer. Hervorzuheben auch Peter Loth als Polizeipräsident. Die weiteren Mitwirkenden (Barbara Blümel, Boris Burgstaller, Jürgen Mikol) spielten solide. Günter Hüttmann als Komissar Bertozzo fiel dagegen etwas ab. Freilich bot seine Rolle auch die geringsten Entfaltungsmöglichkeiten.

Die Meinung des Publikums: langanhaltender, herzlicher, für CIausnitzer sogar frenetischer Beifall mit vereinzelten Bravo-Rufen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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