Archiv der Kategorie: Philosophie

Die guten Seiten der schlechten Stimmung

Soll man sich wirklich von allen Hoffnungen und jedwedem Optimismus verabschieden und stattdessen Trauer und Pessimismus Vorschub leisten? So will der Arzt und Psychologe Dr. Arnold Retzer sein Buch „Miese Stimmung“ wohl kaum verstanden wissen, auch wenn er schon nach wenigen Zeilen einen Wertewandel für überfällig hält.

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Vereinfacht könnte man zwar sagen, der Privatdozent an der Universität in Heidelberg möchte die Menschen drängen, statt auf Spaß und Erfolg lieber auf Trauer und Scheitern zu setzen. Der eigentliche Wert dieses Buches liegt aber wohl darin, dass Retzer die Folgen beschreibt, die nach seinem Dafürhalten mit den Idealen heutiger Zeit verbunden sind.

Menschen lassen sich zu Helden hochstilisieren oder werden vom Fernsehpublikum dazu auserkoren, ob im Fußball, im TV oder auch in … Weiterlesen

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„Wie fühl‘ ich mich, wie fühlst du dich…?“ – Gerhard Henschels „Abenteuerroman“

Wenn ein Autor sein Buch Abenteuerroman nennt, startet das Kopfkino des Lesers. Geschichten von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ oder vielleicht auch Stevensons Schatzinsel dürften ihm in den Sinn kommen. Der Schriftsteller Gerhard Henschel, der sich hier zu Wort meldet, wählt indes vermeintlich banalere Motive, lässt er doch einen jungen Mann namens Martin Schlosser über sein Leben Anfang der 1980er Jahre erzählen.

Die Fans von Henschel kennen die Hauptfigur aus den Vorgängerbüchern („Kindheitsroman“, Jugendroman“, „Liebesroman“). Schlosser lebt jetzt in der tiefen Provinz, dem niedersächsischen Meppen. Die Handlung beginnt, als er kurz vor dem Abitur steht. Flockig-locker ergreift der Romanheld das Wort, der eigentlich so recht kein Wässerchen trüben kann. So hält er … Weiterlesen

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Peter Paul Rubens, Maler und Diplomat in den Zeiten des Krieges

Zu Van Gogh und Rubens können auch alle Kunstfernen was ausposaunen: Der eine hat sich ein Ohr abgeschnitten, der andere vorzugsweise üppige Frauen gemalt. Und fertig. Was gleichfalls im populistischen Sinne bestens ankommt: Rubens war zu seinen Lebzeiten der weltweit teuerste Maler, auch heute würde er – käme überhaupt etwas auf den Markt – mit vorn liegen. Wuppertals Von der Heydt-Museum kann also schon mal auf einen Berühmtheits-Bonus bauen, wenn es nun rund 50 Gemälde und Skizzen von Peter Paul Rubens (1577-1640) zeigt. Museumschef Gerhard Finckh und sein Team wissen solche günstigen Vorgaben zu nutzen und peilen die magische Marke von 100 000 Besuchern an. Inhaltlich gehen sie aber deutlich über solche Äußerlichkeiten hinaus und treten mit ordnendem Konzept an.… Weiterlesen

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Festspiel-Passagen V: Metapher absoluter Fremdheit – „Solaris“ in Bregenz

Stanislaw Lems Roman „Solaris“ hat seit seinem Erscheinen 1961 – auf Deutsch erst 1972 – nichts von seiner Tiefe und Faszination eingebüßt. Andrej Tarkowski (1972) und Steven Soderbergh (2003) haben Filme gedreht; es gibt einige Adaptionen für die Bühne – zuletzt am Münchner Volkstheater, am Burgtheater Wien und am Schauspiel Zürich. Nun hatte bei den Bregenzer Festspielen eine „Solaris“-Oper Premiere – die zweite nach der Kammeroper von Michael Obst (München, 1996). Der Henze-Schüler Detlev Glanert hat auf ein Libretto von Reinhard Palm komponiert, das sich eng an den Roman Lems anlehnt.

„Solaris“ ist vielschichtig: Auf der Science-Fiction-Ebene dreht es sich um den Versuch, Kontakt mit einem Wesen aufzunehmen, das einen ganzen Planeten umspannt; ein Plasma-Ozean, der seit Urzeiten alleine um … Weiterlesen

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Titanic: Der Mythos lebt weiter

Das neue "Titanic"-Building in Belfast/Nordirland. Foto: Häußner

An einen Schiffsbug erinnern die vier Spitzen des Ende März eröffneten "Titanic" Buildings in Belfast/Nordirland. Foto: Häußner

Um 2.12 Uhr nachts kündigt sich das Ende an: Ein Ruck, ein Zittern, dann beginnt sich das Schiff zu drehen, hebt sein Heck aus dem eiskalten Wasser. Sechs Minuten lang steigt das Ruder aus dem Meer, ragen die riesigen Schrauben in die klare Luft.

Um 2.18 Uhr donnert es im Rumpf des Giganten. Die gewaltigen Maschinen, die 50 000 PS auf die drei Schiffsschrauben brachten, rauschen durch den Schiffskörper, losgerissen aus ihren Verankerungen. Es ist das Todesbrüllen des Meeresriesen: Die Lichter erlöschen; zwei Minuten später gleitet die „Titanic“, in zwei Teile zerbrochen, fast geräuschlos in die Tiefe. 1 500 Menschen reißt sie in … Weiterlesen

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Die Gespenster, die Lessing rief

Das Stück Lessings Gespenster im Schauspiel Dortmund, inszeniert vom kainkollektiv. Foto: Birgit Hupfeld

Das Stück Lessings Gespenster im Schauspiel Dortmund, inszeniert vom kainkollektiv. Foto: Birgit Hupfeld

Lessings Nathan der Weise ist ein Klassiker, gefeiert als Versöhnungsdrama der Toleranz zwischen den Weltreligionen. Die Künstlergruppe „kainkollektiv“ sperrt sich allerdings gegen diese Lesart – und sucht in „Lessings Gespenster – Eine Heimsuchung nach Nathan der Weise“ die anarchistische Seite des Aufklärers. Die Stückentwicklung feierte jetzt ihre Uraufführung im Dortmunder Schauspiel als On Stage Produktion.

Die Zuschauer stehen in langer Schlange am Hintereingang des Schauspiels, laufen durch die Katakomben des Theaters, lesen ein Schild mit den Worten „Lessings Gespenster. Rumlaufen erforderlich“, um dann mitten auf der Bühne zu landen, ohne Stühle, nur mit Raum, der erobert werden will. Alles anders als gewohnt. Ein sinnstiftender Einstieg, wenn es … Weiterlesen

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Allen Krisen zum Trotz: Jürgen Habermas will das Projekt Europa retten

Die Euro-Krise scheint kein Ende zu nehmen. Die zögerlichen und halbherzigen, oft populistischen Reaktionen der Politik lassen ein Scheitern des europäischen Projekts als reale Möglichkeit erscheinen. Da kommt ein Buch von Jürgen Habermas gerade recht. Der bekannteste lebende Philosoph Deutschlands – wenn nicht sogar der ganzen Welt – hat einen Essay („Zur Verfassung Europas“) geschrieben, mit dem er in die Debatte um die Zukunft des Kontinents eingreifen und der sich ausbreitenden Europa-Skepsis einen philosophischen Antikrisenplan entgegensetzen will.

Wenn allerdings „Die Zeit“ meint, es sei „das Buch der Stunde“, werden falsche Erwartungen geweckt: Denn Habermas gibt keine Handlungsanweisung zur Rettung des angeschlagenen Euro. Es geht ihm nicht um Rettungsschirme oder Eurobonds, sondern, im doppelten Sinne, um die Verfassung Europas: Wie haltbar … Weiterlesen

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Löwenhaftes oder: Mitteilbarkeit des Nicht-Mitteilbaren

Zwei, drei Tage lang hat mich „Blumenberg“ begleitet, dieses neue Buch der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, wodurch und weswegen ich fortan dankbar dafür bin, dass es sie und ihre Sprache, ihre Art des Schreibens, gibt. Lewitscharoffs Roman hat mich begleitet und begleitet mich noch, fast so wie im Buch der Löwe den Blumenberg.

Sehr gut hat mir schon das kräftige, das atmende erste Kapitel gefallen, so gut, dass ich spontan innehalten, den Romanfortgang in der Schwebe lassen wollte, um den eröffneten Spielraum des Möglichen durch zwangsläufig immer größer werdende Bestimmtheit nicht allzu schnell antasten zu lassen. Andererseits wollte ich meiner Neugier zugestehen noch etwas mehr zu erfahren und geriet sogleich verlockt ins 2. Kapitel.

Und so hatte ich alsbald beides vor … Weiterlesen

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Paul Valéry: Das Denken am frühen Morgen

Es war ein ungeheures Unterfangen: Rund 50 Jahre lang (1895-1945) ist der französische Schriftsteller Paul Valéry in aller Heidenfrühe aufgestanden, um „geistige Gymnastik“ zu betreiben, wie er es nannte. Hätte er jeweils abendliche Bilanzen gezogen, so wäre sein Denken wahrscheinlich in andere Richtungen gegangen. In den Stunden zwischen Tau und Tag also sind jene zahlreichen „Cahiers“ („Hefte“) entstanden, insgesamt ein zerklüftetes, schluchtenreiches Textgebirge, eines der großen Zeugnisse menschlicher Denkanstrengungen. Vieles klingt noch heute so frisch wie ein neuer Morgen.

Valéry meidet es nach Kräften, auf ausgetretenen philosophischen Pfaden zu wandeln, jedes System ist ihm zuwider. „Die meisten Fragen der Philosophie scheinen mir nicht meine zu sein, abseitig und sogar bedeutungslos, – bar jeder Notwendigkeit…“ Auch verachtet er bloße Lektüren ohne … Weiterlesen

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Zurück zum Körper

Immer raffiniertere Techniken haben unser Leben entsinnlicht, so dass sich das Bedürfnis einstellt, verlorene Körperlichkeit wiederzugewinnen. Das ist ein Grundgedanke, der den Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht umtreibt – und beileibe nicht nur ihn.

Der in Würzburg geborene Gumbrecht (Jahrgang 1948) war bereits mit 26 Jahren Professor in Bochum, wechselte dann an die Uni Siegen, lehrt seit 1989 an der Stanford University (Kalifornien/USA) und gilt als einer der einflussreichsten Geisteswissenschaftler deutscher Herkunft. Geographisch, biographisch und thematisch hat er einen weiten Horizont. Beispielsweise hat er schon früh (bevor es intellektuelle Mode geworden ist) auch Phänomene des Sports in den Blick gefasst.

Im neuen Aufsatzband „Unsere breite Gegenwart“ verfolgt er Spuren einer noch ausführlich zu schreibenden Geschichte der Körperlichkeit. Ein schmales Buch, doch … Weiterlesen

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Warnung vor den „Übermenschen“ – Michael J. Sandels Buch „Plädoyer gegen die Perfektion“

Wer möchte nicht manchmal perfekt sein? Doch wäre Vollkommenheit wirklich so gut? Und ist es nicht sowieso verwerflich, diesen übermenschlichen Zustand anzustreben? Um solche heiklen Fragen geht es in dem neuen Buch „Plädoyer gegen die Perfektion”. Nicht zuletzt taugt der Band als Beitrag zur Doping-Debatte.

Der Autor Michael J. Sandel lehrt Politische Philosophie an der Harvard Universität. Er gehörte zum illustren Kreis der Bioethik-Berater von US-Präsident Bush. Für die deutsche Ausgabe hat Jürgen Habermas das Vorwort geschrieben. Wir bewegen uns also in gewissen Geisteshöhen.

Doch Sandel hebt nicht ab. Er spürt dem wachsenden Perfektionsdrang auf verschiedenen Feldern nach, nennt konkrete Fakten und überzeugt durch klare Beweisführung.

Argumente zu Doping und Gentechnik

Besonders die unentwegt fortschreitende Gentechnik weckt sein Unbehagen. Doch … Weiterlesen

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Die Weisheit passt in wenige Worte – Hattingen als Zentrum für Aphorismen: Autorentreffen und neues Archiv

Von Bernd Berke

Hattingen. Kleine Kunstform, großer Aha-Effekt. Auf solche Wirkungen zielen Aphorismen ab. Im Idealfalle sind es geistreich zugespitzte Weisheiten in wenigen geschliffenen Worten. Irgendwie passend, dass eine kleinere Stadt sich anschickt, zum Zentrum der knappen Sinnsprüche zu werden: Hattingen hat’s mit Kürze und Würze.

Schon zum zweiten Mal (nach 2004) treffen sich jetzt deutschsprachige Aphoristiker in der Ruhrstadt. Zudem wird heute im Hattinger Stadtmuseum ein Aphorismen-Archiv eröffnet. Es soll mit der Zeit wachsen. Kulturamtsleiter Dr. Jürgen Wilbert (61), selbst Aphorismen-Schmied aus Passion, darf als Ideengeber gelten. Zündfunke war eine Eingebung des Schriftstellers Elias Canetti: „Die großen Aphoristiker lesen sich so, als ob sie einander gut gekannt hätten.“ Wilbert folgerte: Ihre gegenwärtigen Nachfahren sollten einander tatsächlich kennen lernen – … Weiterlesen

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Goethe muss natürlich unbedingt ins Sturmzentrum – Eine Traumelf deutscher Dichter und Denker aufstellen

Von Bernd Berke

Heute geht’s endlich gegen Argentinien rund. Aber gestern und vorgestern waren bei der WM erstmals spielfreie Tage. Seufz! Da wusste man ja fast schon gar nicht mehr, was man mit der leeren Zeit anfangen sollte.

Was tut man also? Sich doch mal wieder spielerisch mit Kultur und Fußball befassen. Etwa mit der reizvollen Idee, eine Traumelf mit ruhmreichen deutschen Dichtern und Denkern aufzustellen. Richtig gelesen.

Wer steht im Tor? Immanuel Kant! Der Mann hat sich in der T-Frage gegen Leibniz und Heidegger durchgesetzt. So abgeklärt wie er ist sonst keiner. Er bleibt nicht auf der Linie kleben, sondern denkt weit voraus. Und er dient der ganzen Mannschaft als Ansprechpartner in moralischen Sinnfragen.

Viel wild er wohl nicht … Weiterlesen

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Philosophische Suche nach dem Sinn

Bochum. Der Bochumer Gregor Nottebom hat eine ganz besondere „Ich-AG“ gegründet. Der studierte Philosoph versucht Menschen bei der Sinnsuche zu helfen – im direkten Gespräch, telefonisch oder auch via e-Mail und Internet. Gegen Gebühr, versteht sich. Ein Gespräch mit ihm über sein wahrhaft weitläufiges Arbeitsfeld.

Frage: Suchen die Leute das ganze Jahr über bei Ihnen Rat?

Gregor Nottebom: Hochsaison ist jetzt, um Weihnachten herum. Es ist tatsächlich so, wie man es sich vorstellt. Wenn zu Weihnachten viele mal etwas mehr Zeit haben, kommen auch manche Konflikte ans Licht. Und die Sinnfrage stellt sich stets in Konflikt-Situationen.

Wie grenzen Sie sich mit Ihren Ratschlägen vom Psychologen ab?

Nottebom: Meine Klienten sind in der Regel nicht krank oder ernsthaft gestört. Falls doch, … Weiterlesen

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Eine Liebe in den finsteren Zeiten – Was der Philosoph Ernst Bloch seiner Freundin und späteren Frau Karola schrieb

Von Bernd Berke

Auch große Männer haben ihre Schwächen. Von dieser ehernen Regel machte der Philosoph Ernst Bloch (1885-1977 / Hauptwerk: „Das Prinzip Hoffnung“) keine Ausnähme. Ausgiebig nachschmecken kann man den Befund jetzt in dem Buch „Das Abenteuer der Treue“. Es versammelt Blochs Briefe an seine Freundin und spätere Ehefrau Karola.

1927 lernte Ernst Bloch die aus Polen stammende, kluge, eigenständige und herb-schöne Frau kennen. Doch bis sie einander wirklich dauerhaft fanden, brauchte es seine Zeit. Die Architektur-Studentin war 20 Jahre jünger als er, der bereits zwei Ehen und einige intellektuelle Meriten auf dem Lebenskonto hatte.

Einen Knacks bekam die frisch erblühte Liebe („auf den ersten Blick“), als herauskam, dass der bisweilen lebemännische Bloch mit einer anderen Frau geschlafen hatte … Weiterlesen

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Wer das große Nichts umkreist – Lars Gustafssons philosophischer Thriller „Der Dekan“

Von Bernd Berke

Manche Klappentexter aus Buchverlagen sollte man etwas zügeln. „Lars Gustafssons bester Roman“ – so wird „Der Dekan“ auf dem Einband angekündigt. Waren also alle bisherigen Bücher schlechter? Und: Welche volltönende Anpreisung gibt’s denn beim nächsten Werk?

Schwamm drüber. Jetzt geht es erst einmal um diesen „Roman“, der das Genre-Etikett nicht so recht einlöst. Denn es sind fragmentarisehe, ja streckenweise fetzenhafte Aufzeichnungen, mit denen uns der seit vielen Jahren in Austin/Texas lebende, für sein bisheriges Werk verehrungswürdige Schwede konfrontiert. Hinzu kommt ein alter Literaten-Trick: Die Texte werden als gerettete, teilweise beschädigte Überbleibsel „aus Spencer C. Spencers Papieren“ ausgegeben.

Zu allem Überfluss herrscht Konfusion beim fiktiven Urheber. Immer wieder betont dieser Spencer, dass er gar nicht mehr wisse, wo … Weiterlesen

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Die Aufklärung braucht mehr Rohstoff – Alexander Kluges imponierende Lesung aus „Die Lücke, die der Teufel lässt“

Von Bernd Berke

Dortmund. Eine solche geistige Bereicherung erlebt man nicht alle Tage: Alexander Kluges Dortmunder Präsentation seines voluminösen Essay- und Erzählungsbandes „Die Lücke, die der Teufel lässt“ (Suhrkamp-Verlag) geriet zum Lehrstück in Sachen intellektueller Durchdringung vielfältiger Stoffe.

Büchner-Preisträger Kluge beließ es im Harenberg City-Center nicht bei einer bloßen Lesung. Zwischendurch bat er auch schon mal den Verleger und Hausherrn Bodo Harenberg zum dialogischen Duett-Vortrag aufs Podium, wobei er das Publikum auf die feinen Unterschiede zwischen seiner Halberstädter Diktion und Harenbergs Magdeburger Zungenschlag hinwies. Landsleute unter sich.

Zudem extemporierte Kluge ganz spontan und oft weit über den ohnehin schon schier uferlosen Inhalt seines Buches hinaus. Ein übliches Seminar ist nichts dagegen. Was dieser Mann an Bildung „griffbereit“ mit sich führt … Weiterlesen

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Fernwirkungen menschlichen Tuns und Leidens – Alexander Kluges kolossales Buch „Die Lücke, die der Teufel lässt“

Von Bernd Berke

Da möchte man fast verzagen: 949 eng bedruckte Seiten erstrecken sich vor dem Leser, portioniert in rund 500 Kapitel mit Überschriften wie „Politische Ökonomie der Sterne“ oder „Das nachtödliche Gedächtnis für das im Schlaf Verarbeitete“.

Alexander Kluges mit Episoden, Essays und Fußnoten randvoller Band „Die Lücke, die der Teufel lässt“ ist in jeder Hinsicht gewichtig. Man kann sich die Lektüre freilich erleichtern, indem man (auch im Sinne des Autors) getrost kreuz und quer liest, schon mal Passagen auslässt, sich also freimütig umtut im ungeheuer vielfältigen Fundus, der mit mancher aphoristischen Zuspitzung ergötzt. Zitat: „Sozialismus setzt Überfluß voraus… Man könnte Sozialismus am besten auf einem Luxusdampfer ansiedeln.“

Der Misere Gegengifte abgewinnen

Büchner-Preisträger Kluge ist rastlos unterwegs zwischen allen … Weiterlesen

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Adorno: Strenger Geist und lockere Momente

So will es das Klischee: Jeder „große Mann“ muss der Nachwelt mindestens einen Satz hinterlassen, den viele zu kennen meinen; besser noch, wenn der Ausspruch Rätsel aufgibt und die gesamte Existenz umgreift. Bei Theodor W. Adorno, der vor 100 Jahren (am 11. September 1903) geboren wurde, waren es diese Worte fürs kollektive Gedächtnis: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Man könnte sich den Sinn simpel zurechtlegen, etwa so: Wie man’s auch macht, man macht es verkehrt – in dieser unserer Gesellschaft. Adorno zufolge ist sie derart von Markt- undTausch-Verhältnissen durchwirkt, dass nichts und niemand sich dem Sog der „Verdinglichung“ entziehen kann. Also schlägt jedes Dasein letztlich fehl, alsogibt es nie und nimmer restlose Erfüllung. Wer sich für glücklich hält, … Weiterlesen

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Was die Walnuß der Eiche erzählt – Botho Strauß und sein Tagebuch „Die Fehler des Kopisten“

Von Bernd Berke

Botho Strauß ist beileibe nicht der erste Autor des Jahrhunderts, der aus der Stadt flüchtet. um innere Einkehr auf dem Lande zu finden. Aber er ist derzeit der Bekannteste. Ihn zog’s aus dem brodelnden Berlin in die Weiten der ostdeutschen Uckermark, eine Gegend „unter dem ärmsten Himmelsstrich“. Dort hat er sich und seinem Sohn Diu ein Haus bauen lassen, dort schrieb er sein neues Buch „Die Fehler des Kopisten“. Ist es das Dokument einer Flucht aus Zeit und Welt?

Also schreibt Strauß, auf einsamer Warte der Natur ansichtig: „Und die Eiche sagt, was das Rauschen der Walnuß ihr eingab.“ Oder auch: „Die Goldammern rasten in der Eiche. Ihr einfältiger Staccatoruf: Wie wie wie / hab ich dich … Weiterlesen

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Im Bett mit Karl Marx – „Die Verkündigung oder: Friedrich, du bist ein Engel“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Der olle Karl Marx räkelt sich im Ehebett. Neben ihm liegt seine liebe Frau. Sie erdrückt ihn mit ihrer Fürsorge, sie hält ihn dauernd vom Schreiben und – na, sowas! – vom Fremdgehen ab. Und wenn seine Feder doch mal kratzt, ruft sie gleich; .„Was schreibst du da?“ Bedauernswerter Marx? Im Gegenteil.

„Die Verkündigung oder: Friedrich, du bist ein Engel“, jetzt in Wuppertal als deutsche Erstaufführung zu sehen (Regie: Hans-Christian Seeger), zeigt uns Karl Marx zwei, Stunden lang im Nachtgewand, doch nicht im Büßerhemd: Dieser Mann ist, ganz ungebrochen, ein Patriarch, der mit Frau und Geliebter nach männlichem Belieben umspringt.

Autor Milan Uhde ist, politisch besehen, kein Geringer. Er ist tschechischer Parlamentspräsident. Die Handlung seines Stückes … Weiterlesen

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…doch Heidegger stieg durchs Gebirge – Elfriede Jelineks „Totenauberg“ bei den Mülheimer Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Vor dem Juhnke-Rummel * hatten die Mülheimer Stücketage mit Elfriede Jelineks „Totenauberg“ begonnen, einem Drama über den Philosophen Martin Heidegger (1889-1976). Der war ein Brocken aus Granit.

In seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ genügte ihm der Begriff „Sein“ keineswegs. Er erfand z. B. auch noch „das Seiend“ und „die Seiendheit“ hinzu. Hut ab vor Elfriede Jelinek, weil sie – in Nachvollzug und Parodie – solchem Kauderwelsch eine poetische Sprache abgewann. „Totenauberg“, hier in der Fassung des Wiener Burgtheaters (Akademietheater) zu sehen, bezieht sich im Titel auf Heideggers Denkerklause im schwäbischen Todtnauberg. Derlei Wortspiele prägen den Text. Er stellt Heideggers Sprechblasen auf seine Weise so wirksam unter Verdacht wie 1964 Theodor W.Adornos Abrechnung („Jargon der Eigentlichkeit“).

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Es kommen weder bessere noch schlechtere Zeiten – Botho Strauß und seine „Beginnlosigkeit“

Von Bernd Berke

Es dürfte das Buch mit den erlesensten Fußnoten der Saison sein – derart entlegene Werke zitiert Botho Strauß. Und bei manchen seiner Fremdworte helfen nur Spezialhandbücher. Aber sind das schon Qualitäten, Zeichen eines „Sehertums“ gar?

Strauß hat neueste naturwissenschaftliche und kosmologische Forschungen zur Kenntnis genommen – und will, daß daraus Konsequenzen für Literatur und Leben gezogen werden. Sein Befund: Die Zeit der Dialektik (jenes diskussionsfördernden Dreischritts aus These, Gegenthese und vorläufiger „Versöhnung“) sei vorbei. Vorbei auch die Ära des Fortschritts, der Logik, der Ideologien und des „Prinzips Hoffnung“ eines Ernst Bloch (den Strauß ohne Namensnennung als „Roßtäuscher“ bezeichnet).

Immer schon da und ewig verweilend

Was haben wir statt dessen? Den „Steady state“ (letztlich gleichbleibender Zustand), den Strauß … Weiterlesen

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Gegen die Herrschaft des Todes schreiben – Elias Canetti wird 85

Einer der letzten Schriftsteller mit universalem Gepräge: EIias Canetti überzeugt als Romancier ebenso wie als Essayist („Das Gewissen der Worte“), als Dramatiker („Die Hochzeit“) ebenso wie als Theoretiker – und das nicht nur im geisteswissenschaftlichen Bezirk: „Man kann heute nicht mehr schreiben, ohne etwas von Naturwissenschaften und Technik zu verstehen“. Heute wird der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1981, der 1975 auch den Dortmunder Nelly-Sachs-Preis erhielt, 85 Jahre alt.

Aufklärer im umfassenden Sinn, gehört er zu den Autoren, zu denen man schon nach wenigen Seiten Vertrauen fassen kann, so daß man geneigt ist, ihm auch durch gewagte Gedankengänge zu folgen. Ein höchst empfehlenswerter „Einstieg“ in sein Werk ist das 1987 erschienene Buch „Das Geheimherz der Uhr“ – genauer als in dieser aphoristischen … Weiterlesen

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