Erkundungen im real existierenden Kapitalismus: Der Schriftsteller Ingo Schulze streift durchs Ruhrgebiet

An diesem imposanten Ort beginnen die Ruhrgebiets-Erkundungen von Ingo Schulze: die kruppsche Villa Hügel in Essen. (Foto von Januar 2006: Bernd Berke)

Ein halbes Jahr lang war Ingo Schulze so etwas wie der Stadtschreiber des Ruhrgebiets, Oktober 2022 bis März 2023, Wohnsitz in Mülheim, eingeladen von der Brost-Stiftung. Zwei Dinge hatte er sich für diese Zeit vorgenommen, nämlich erstens an streng durchstrukturierten Arbeitstagen halbtags an seinem neuen Roman zu arbeiten und zweitens jede Einladung anzunehmen, die er in seiner Ruhrgebietszeit erhielt. „Ich weiß nicht, warum ich immer wieder auf mich selbst reinfalle“, schreibt er in der Rückschau, „keine Zeile habe ich an meinem Roman geschrieben.“

Das Ruhrgebiet, so könnte man folgern, erregte des Dichters ganze Aufmerksamkeit. Aber interessante Menschen hat … Weiterlesen

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Aufklärung, das unvollendete Projekt – opulente Ausstellung in Berlin

Erstdruck der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. Juli 1776, gedruckt von Steiner und Cist in deutscher Sprache, Philadelphia, 8. Juli 1776. (© Deutsches Historisches Museum)

In einem der wirkungsmächtigsten Dokumente der demokratischen Staatsphilosophie, formuliert im Jahr 1776, wird festgestellt, „daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit. Daß zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten; daß sobald einige Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volks ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen, die auf solche Grundsätze gegründet, und … Weiterlesen

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Förmlich oder nüchtern? Dankesbekundungen gestern und heute

Gängiges Emoji für Dankesbekundungen (© EmojiTerra.com /  „Emojis zum Kopieren und Einfügen“)

Vor geraumer Zeit war hier von gängigen Grußformeln die Rede, jetzt geht es mal eben kurz um Dankesformeln. Bitte hier entlang:

Wir vergewissern uns rasch: „Vielen Dank“, „Lieben Dank“ oder – leicht gesteigert – „Vielen lieben Dank“ lauten die vielleicht meistgebrauchten Dankesbekundungen dieser Tage. Manche lassen es auch beim Emoji mit den dankbar aneinander gepressten Händen bewenden. Das erscheint freilich wie ein arg flüchtiger Dank auf bloßen Klick.

Und sonst? Ein schlichtes „Danke“ ist beinahe schon verpönt, weil es nichts hermacht. Es sollte, nach allgemeinem Empfinden, schon wenigstens „Herzlichen Dank“ oder (etwas geschäftsmäßiger) „Besten Dank“ heißen. „Heißen Dank“ entbietet man wohl nur, wenn man es ironisch meint und … Weiterlesen

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Nur Kunst, Liebe und Tod – Horst Bieneks Tagebücher

Der 1930 im oberschlesischen Gleiwitz geborene Horst Bienek konnte sich nach dem Krieg in die „Sowjetische Besatzungszone“ absetzen, ein Volontariat in Potsdam ergattern und erste Prosa-Texte veröffentlichen.

Im September 1951 nimmt ihn Bertolt Brecht in seine Meisterklasse am Berliner Ensemble in Ost-Berlin auf und der junge Autor beginnt mit einem Tagebuch, in dem er fortan seine Gedanken und Erlebnisse akribisch festhalten will.

Bert Brecht erwiderte seine Bewunderung nicht

Er beobachtet Brecht bei den Proben („…er klatschte in die Hände, kicherte, schnaubte; es war köstlich.“) Seine Begeisterung und Bewunderung für Brecht, das epische Theater und die ketzerische Lyrik, wird Bienek zeitlebens bewahren. Leider wurde sie nicht erwidert. Denn weder Brecht noch Helene Weigel machten einen Finger für ihn krumm, als ihn … Weiterlesen

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Heillose Heilanstalt: Heinz Strunks Roman „Zauberberg 2″

Welch ein tollkühnes Unterfangen, schon mit dem Romantitel und sodann mit der Handlung in einen Vergleich mit Thomas Mann einzutreten! Mit „Zauberberg 2″ nimmt Heinz Strunk wie selbstverständlich Bezug auf Manns großen, just vor 100 Jahren erschienenen Roman „Der Zauberberg“, der bekanntlich hauptsächlich in einem Sanatorium zu Davos spielte und wortmächtig aus einem gewaltigen Gedanken- und Bildervorrat schöpfte.

Strunks Protagonist namens  Jonas Heidbrink macht sich hingegen mit dem eigenen Fahrzeug in den abgelegenen und untervölkerten deutschen Nordosten auf. Der Aufenthalt in der Heilanstalt, in die er sich begibt, kostet pro Nacht exorbitante 823 Euro. Selbstzahler sind gern gesehen. Heidbrink, der sich ein Start-up mit Hightech-Idee hat abkaufen lassen, verfügt fraglos über das Geld, ist aber seelisch ein armer Tropf, schon … Weiterlesen

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Joachim Meyerhoff: Literarisches Denkmal für die Mutter

Theatergänger lieben die genuschelten Spracheskapaden und schlaksigen Bewegungen von Joachim Meyerhoff, Literaturfans amüsieren sich köstlich über seine tragikomischen Erlebnisse und grotesken Selbstentblößungen. Dann aber wird der Wiener Burgschauspieler von einem Schlaganfall niedergestreckt, muss das Sprechen und Spielen neu lernen und wechselt ins Ensemble der Berliner Schaubühne. Doch alles kommt anders als gehofft.

„Ich haderte mit Berlin, der Stadt, in der ich seit fünf Jahren versuchte, heimisch zu werden, und ich haderte mit meinem Beruf, der Schauspielerei, die ich über drei Jahrzehnte mit Hingabe, gar mit Obsession betrieben hatte.“

Bühnen-Ekel und Schreib-Hemmung schlagen ihm aufs Gemüt. Fluchtartig verlässt er Berlin und zieht zu seiner Mutter aufs Land, redet sich ein, er, der 56jährige Griesgram, könne der 86jährigen Frau, die vor Lebenslust … Weiterlesen

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Boualem Sansal muss aus der Haft entlassen werden

Gladbeck 2012: der französisch-algerische Schriftsteller Boualem Sansal im Gespräch. (Foto: Jörg Briese)

Der Nächste bitte! Mit der Gewöhnung an autoritäre Politik werden Angriffe auf die Meinungsfreiheit zur Regel.

Im Oktober 2012 hatte ich das Glück, Boualem Sansal in die Stadtbücherei Gladbeck einladen zu dürfen und mit ihm zu diskutieren. Das Gespräch dolmetschte Walter Weitz, in deutscher Sprache erschienene Texte Sansals las Schauspieler Martin Brambach. Inspirierende Abende wie dieser gehörten zu den Lichtblicken meiner Arbeit im Literaturbüro Ruhr.

In Algier verhaftet und angeklagt

Umso trauriger war ich lesen zu müssen, dass am 16. November dieses Jahres der bewunderte französisch-algerische Schriftsteller nach einer Rückreise aus Frankreich am Flughafen von Algier verhaftet worden ist. Einige Tage lag sein Verbleib ganz im Dunklen. Nicht … Weiterlesen

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Spinnenwelt, Kunstbetrieb, Getuschel – Buchtipps vor dem Fest

Es ist mal wieder an der Zeit, in vorweihnachtlichen Tagen ein paar gesammelte Hinweise auf neue Bücher zu geben.

Das große Krabbeln

Zunächst ein Sachbuch-Thema, das viele Leute weniger erquicklich finden dürften. Jan Mohnhaupt, übrigens gebürtiger „Ruhri“ vom Jahrgang 1983, legt sein Buch „Von Spinnen und Menschen. Eine verwobene Beziehung“ (Hanser, 255 Seiten, 24 Euro) vor. Schon beim bloßen Titel könnte manche(n) das Gruseln anfassen. Doch nach der Lektüre mögen sich vielleicht etliche Arachnophobiker ein wenig kuriert fühlen. Mohnhaupt hat nicht weniger als eine Kulturgeschichte der Spinnenwesen verfasst, wie sie sich auf vielfältige Weise in die Geschichte der Menschheit einbeschrieben hat, so u. a. auch ins Christentum und in verschiedene Epochen, beispielsweise die napoleonische Zeit. Unsere Spezies hatte und hat … Weiterlesen

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Kleine, große Lichtgestalt: Die Deutsche Oper am Rhein zeigt erstmals „Der Kreidekreis“ von Alexander Zemlinsky

Beide Frauen wollen das Kind: Lavinia Dames (l.) als Tschang-Haitang und Sarah Ferede als Yü-Pei, eifersüchtige Erstfrau des Herrn Ma. (Foto: Sandra Then)

Die Federn fallen, fallen wie von weit, als kämen sie aus einer fernen Sphäre. Sanft schweben sie von den Vogelkäfigen nieder, in denen die Frauen eingesperrt sind, die für den Teehausbesitzer Tong arbeiten: gefallene Engel, verkaufte Kreaturen. Weiß sind ihre Gewänder, weiß die Federn. Weiß leuchtet hier alles, was noch gut und recht sein kann in einer düsteren Welt.

Es waren finstere Zeiten, in denen der 62-jährige Alexander Zemlinksy 1933 seine letzte vollendete Oper „Der Kreidekreis“ schrieb. Im alten Textgewand eines chinesischen Märchens steckend, ist sie eine typische Zeitoper der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Nach der … Weiterlesen

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Goethe-Institut: Harte Jahre, schmale Mittel

Es sind harte Jahre – auch fürs weltweit aufgestellte Goethe-Institut, das deutsche Sprache und Kultur möglichst global vermitteln soll. Gesche Joost, erst seit 19. November neue Präsidentin des dem Außenministerium angegliederten Instituts, spricht von einer „Welt der neuen Rauheit“, in der man umso dringlicher für demokratische Werte einstehen wolle.

Gesche Joost, seit gerade mal zwei Wochen Präsidentin des Goethe-Instituts. (Foto: © Loredana La Rocca / Goethe-Institut)

In Zeiten des erstarkten Rechtspopulismus, so Joost auf der Jahrespressekonferenz weiter, müsse man sich auf die zweite Amtszeit von Donald Trump und auf den Fortgang kriegerischer Krisen (Ukraine, Nahost etc.) einstellen. In diesem Umfeld gelte es, dem Institut und seinen Anliegen mehr „Sichtbarkeit“ zu verschaffen und „Resilienz“ (Widerstandskraft) zu entwickeln. Gängige Schlagworte, die wohl … Weiterlesen

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Wege zu sich selbst: Frühwerke Puccinis zum 100. Todestag in der Philharmonie Essen

Giacomo Puccini ist vor 100 Jahren, am 29. November 1924, gestorben. Seine Heimatstadt Lucca hat ihm dieses Denkmal gesetzt. (Foto: Werner Häußner)

Die Suche nach dem Funken der Genialität berühmter Komponisten gehört zu den Standards einer glorifizierenden Geschichtsschreibung, die selbst im weit abgelegenen Jugendwerk noch die Ahnung des späteren Meisters erspüren will. Das funktioniert bei Wagner schon nicht und geht bei Giacomo Puccini vollends ins Leere.

Nichts deutet darauf hin, dass aus dem Kirchenmusikschüler aus Lucca und dem bequemen Mailänder Studenten Amilcare Ponchiellis einmal der Schöpfer einer „Tosca“, einer „Madama Butterfly“ oder einer „Turandot“ werden sollte.

Trotzdem ist es eine gute Idee, den 100. Todestag Puccinis (geboren am 22.12.1858 in Lucca, gestorben am 29.11.1924 in Brüssel) zum Anlass zu nehmen, … Weiterlesen

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Was bringt das Netzwerk Bluesky?

Um es gleich vorwegzunehmen: So richtig zufrieden bin ich mit dem sozialen Netzwerk Bluesky noch nicht. Die unsägliche Dreckschleuder X (ehemals Twitter) von Elon Musk habe ich vor einiger Zeit leichten Herzens verlassen. Der Kerl wird den einen oder anderen Abgang sicherlich verschmerzen, aber wenn es in die Millionen ginge, wenn Deppen und Despoten der Dekade dort unter sich blieben…

Screenshot einer Bluesky-Einstiegsseite

Ach, wenn doch nur mehr globale Hochkaräter wie der britische „Guardian“ sich dort verabschiedeten! Doch man freut sich auch schon, dass Fußballclubs wie der FC St. Pauli, Werder Bremen oder der SC Freiburg jüngst X den Rücken gekehrt haben (Wann folgt endlich Borussia Dortmund – oder hat Rheinmetall Einwände dagegen vorgebracht?), oder wenn der Deutsche Journalistenverband (DJV) … Weiterlesen

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Berührende Tragödie: Cecilia Bartoli mit Glucks „Orfeo ed Euridice“ in der Essener Philharmonie

Cecilia Bartoli. (Foto: Fabrice Demessence)

Es sind keine Blumenkränze und Myrtengirlanden, die der Chor in ein Grab streut: In den abgedunkelten Saal der Philharmonie Essen zieht er mit Kerzen ein, während das Orchester die erhabenen Weisen der Ouvertüre Christoph Willibald Glucks zu „Orfeo ed Euridice“ intoniert. Weinen, Klagen, Seufzer beschwören die Sängerinnen und Sänger in abgedunkeltem Klang.

Am Rand der Szene sitzt Orfeo, der seine über alles geliebte Gefährtin an die Unterwelt verloren hat. Sein sehnsuchtsvoller Ruf „Euridice“ durchbricht die melodische Linie des Chores – und schon mit diesem Moment hat Cecilia Bartoli ihr Publikum gefangen.

Mit „Orfeo ed Euridice“, der wohl bekanntesten Oper des Ritters Gluck, hat die Römerin bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2023 einen Riesenerfolg eingeheimst. Nun tourt … Weiterlesen

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Neuer Verlag in Dortmund: Romanische Literaturen im Blick

Verleger Lucas Franken (Foto: © Gideon Rothmann)

Wer hätte das gedacht? In Dortmund, das nicht nur keine Kinostadt mehr, sondern (seit dem Hinschwinden so grundverschiedener Häuser wie Harenberg oder Grafit) auch keine Verlagsstadt mehr ist, gründet sich tatsächlich ein neuer Buchverlag. Lasst Vorurteile sprechen: Der Neuling wird doch sicherlich ein halbgares Programm pflegen, vermutlich mit wohlfeiler Ruhri-Anmutung und Touri- oder Fußball-Schwerpunkt?

Nichts da! Weit gefehlt. Der Franken Verlag meint es literarisch richtig ernst und seriös. Am 15. Januar 2025 soll das erste Buch erscheinen: „Feinschnitt Barcelona“ (ca. 250 S., 24 €) von Adrià Pujol Cruells, eine Mischung aus Autobiographie und Essay, aus dem Katalanischen übersetzt von Matthias Friedrich. Wir werden an dieser Stelle beizeiten darauf zurückkommen.

Adrià Pujol Cruells, Autor

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Sensation! Das Ruhrgebiet heißt wieder Ruhrgebiet

Ein Bildmotiv der neuen Ruhrgebiets-Kampagne: smarte junge Frau mit Laptop auf alter Industrie-Lok. (Foto: RVR)

Welch eine aufregende Mitteilung uns aus Essen bzw. Gelsenkirchen ereilt! Das Ruhrgebiet darf wieder schlichtweg Ruhrgebiet heißen, wenn es um die Werbung für die Region geht. Das Revier (früher auch schon mal von übereifrigen Kreisen „Ruhrstadt“ genannt) muss sich also nicht mehr zur „Metropole Ruhr“ aufplustern und sich als Weltstadt gerieren.

Garrelt Duin, noch relativ neuer Regionaldirektor beim Regionalverband Ruhr (RVR) und vormals NRW-Wirtschaftsminister aus den Reihen der SPD,  mochte das Metropolen-Gerede nicht mehr so gern hören. Diese Regung lässt sich gut nachvollziehen. Wie das selbsternannte Ruhrgebiets-Zentralorgan, die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ), gleichsam hochroten Kopfes berichtet, soll die Gegend künftig mit dem Slogan „Ruhrgebiet – … Weiterlesen

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„Ausgeliefert“ – Klassenkampf mit Apps und GPS

Damn, clusterfuck, cringe as fuck, shiny. Nur eine kleine Auswahl zwischendurch hingeworfener Wörter aus dem Prolog zum eigentlich auf Deutsch verfassten Buch. Sollte das etwa besonders „cool“ klingen?

Orry Mittenmayers Buch „Ausgeliefert“ prangert jedenfalls die Methoden gewisser Essens-Lieferdienste an, enttäuscht allerdings am Anfang, wo es doch gerade in den Text locken sollte. Auch der einschläfernde Bandwurmsatz des Untertitels ist in diesem Sinne nicht hilfreich, er lautet: „Wie Lieferdienste ihre Fahrer ausbeuten, warum uns das alle ärmer macht – und was wir dagegen tun können.“  Erst der konkrete, recht späte Einstieg in die eigentliche Materie liest sich dann deutlich spannender.

Lückenlose Überwachung

Da erfährt man endlich einiges aus dem miesen Alltag der Auslieferungsfahrer („Rider“). Es geht – am Beispiel Köln – … Weiterlesen

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Auf dem K2 der Liedkunst: Konstantin Krimmel und Daniel Heide mit einem Schubert-Mahler-Programm in Hamm

Konstantin Krimmel (31), Bariton deutsch-rumänischer Abstammung, zählt zu den besten Liedsängern unserer Zeit (Foto: Daniela Reske)

Vor dieser Stimme möchte man kapitulieren. Die professionelle Kritiker-Distanz einfach mal aufgeben. Nicht länger leugnen, was sich hartnäckig in die Gedanken drängt, wohl wissend, dass Künstler so wenig miteinander verglichen werden sollten wie Äpfel mit Birnen. Konstantin Krimmel durchbricht unsere Gegenwehr. Der Bariton deutsch-rumänischer Abstammung singt so mühelos und klar, dass uns Fritz Wunderlich durch den Kopf spukt, obwohl der als Tenor eine andere Stimmlage hatte (und sowieso einzigartig war).

Mit einem Liederabend im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm zwingt Krimmel uns zum Offenbarungseid: Vor der Natürlichkeit, dem Fluss und Farbenreichtum dieser erlesenen Baritonstimme strecken wir die Waffen. In einem Atemzug mit ihm muss der nicht … Weiterlesen

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Mit Kaiser Theodoros durch Zeit und Raum irrlichtern

Der 1956 in Bukarest geborene Mircea Cartarescu hat unzählige Auszeichnungen erhalten und wird immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Sein neuer Roman segelt mit Äthiopiens Kaiser „Theodoros“ (der sich 1868 eine Kugel in den Kopf schoss, als britische Truppen seine Festung Magdala eroberten) durch Zeit und Raum: Sein „Theodoros“ ist eine Erfindung, Traum einer Person, in der sich Mythen und Legenden spiegeln, Vision eines Mannes, der in mehreren Welten sein Unwesen treibt.

Geboren wird die zwischen Fiktion und Realität irrlichternde Figur in der düsteren rumänischen Walachei. Der einfältige Vater nennt seinen Sohn Tudor. Seine Mutter hat es aus dem sonnigen Griechenland in die rumänische Ödnis verschlagen, sie unternimmt mit ihrem Sohn Fantasie-Reisen in die Welt von Homer und … Weiterlesen

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„Es musste etwas besser werden“ – Jürgen Habermas und die Pflicht zur Vernunft

„Ich halte das Streben, die Welt um ein Winziges besser zu machen oder auch nur dazu beizutragen, die stets drohende Regression aufzuhalten, für ein ganz unverächtliches Motiv. Daher bin ich mit der Bezeichnung ,Philosoph und Soziologe‘ ganz zufrieden.“

So äußert sich Jürgen Habermas in einem neuen Buch, in dem er über die Motive seines Denkens, die Umstände, unter denen es sich entwickelte, und die Veränderungen, die es im Laufe der Jahrzehnte erfuhr, Auskunft gibt.

Debatten und Diskurse beispielhaft geprägt

Dass der inzwischen 95-jährige Intellektuelle, der mit seinen Beiträgen und Büchern wie kein anderer die politischen Debatten und wissenschaftlichen Diskurse in Deutschland geprägt hat, mit dieser Selbstbeschreibung tiefstapelt, weiß er natürlich auch. Denn Habermas war nie nur ein „Philosoph und Soziologe“, … Weiterlesen

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„Wut und Wertung“: Geschmacks-Debatten können so verletzend sein

Das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) in Essen hat sich für die nächsten Monate ein übergreifendes Thema erkoren, es nennt sich „guilty pleasures“, was etwas umständlich mit „schuldbesetzte Vergnügungen“ übersetzt werden könnte. Freuden also, die man mit einigermaßen schlechtem Gewissen genießt – Flugreisen etwa oder exzessiven Medienkonsum der seichteren Art. Oder auch kulturelle Vorlieben, die dem waltenden Zeitgeist zuwiderlaufen.

Zum Themenauftakt gab es dieser Tage eine (auch online zu verfolgende) Diskussionsrunde mit Johannes Franzen von der Universität Siegen. Der auch als Journalist (Zeit, Taz, FAZ) tätige Germanist und Anglist hat ein Buch über widerstreitende kulturelle „Geschmäcker“ geschrieben. Griffig zugespitzter Titel: „Wut und Wertung. Warum wir über Geschmack streiten“.

Üble Attacke auf der Party

Nun mögen sich manche souverän erhaben dünken, wenn es … Weiterlesen

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Stolz und Zuversicht: Gewichtiger Bildband „Ruhrgold“ feiert die Schätze des Reviers

Großer Auftritt im besprochenen Buch: Aral-Tankstelle an der Hauptverwaltung der Aral AG in Bochum, um 1958. (Foto: Aral AG)

Welch ein Trumm von einem Buch! Der wahrhaft aufwendig gestaltete Band „Ruhrgold. Die Schätze des Ruhrgebiets“ feiert auf 700 farbig bebilderten Seiten im Kunstkatalog-Format nahezu alles, was das Revier zu bieten hat.

Dieser Wälzer liegt sehr gewichtig in den Händen – mit etwa 2708 Gram, also über 2,7 Kilo, wenn ich richtig gewogen habe. Entschieden zu schwer für ein schmuckes „Coffee Table Book“, das Tischlein könnte schier einknicken… Außerdem reicht die Ambition deutlich übers Dekorative hinaus. Dafür bürgt schon der Herausgeber, Prof. Ferdinand Ullrich, vormals langjähriger Direktor der Kunsthalle Recklinghausen, der auch als Fotograf einiges zu diesem Band beigesteuert hat.

Ein … Weiterlesen

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Vibration des Ungehörten: Festival „NOW!“ in Essen

Babette Nierenz und Günter Steinke stellten das Programm des Festivals „NOW!“ bei einer Pressekonferenz vor. (Foto: TuP Essen)

Acht Uraufführungen, drei Deutsche Erstaufführungen, Werke der Essener Komponisten Nicolaus A. Huber und Günter Steinke, und dazu in 15 Konzerten jede Menge hörenswerter neuer Musik: Das Festival „NOW!“ verspricht in seiner 14. Ausgabe seit 2011 wieder ein Highlight für Musikfreunde weit über die Grenzen Essens und des Ruhrgebiets hinaus zu werden.

Längst ist man auch überregional auf das vom 26. Oktober bis 10. November dauernde Festival aufmerksam geworden, betont Mitorganisator Günter Steinke, Professor für Instrumentalkomposition an der Folkwang Universität der Künste: Namhafte Komponisten wie Enno Poppe oder Rebecca Saunders reisen an; Porträtkünstler der Philharmonie Márton Illés ist ebenso dabei wie der 1971 … Weiterlesen

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Dortmunder Museum Ostwall: Künstlerinnen endlich aufwerten

Else Berg: Selbstporträt, 1917 (Sammlung Jüdisches Museum, Amsterdam)

Wie viele Kunstwerke im Bestand des Museums Ostwall im Dortmunder U stammen wohl von Frauen? Man ahnt es ja ungefähr – und doch verblüfft die Antwort: Es sind weniger als sieben Prozent. Seit einiger Zeit macht sich das weibliche Museumsteam daran, gezielt gegen die Dominanz weißer Männer anzugehen; neuerdings mit der Ausstellung „Tell these people who I am“, in der sämtliche Arbeiten von Frauen stammen.

Die gängige Zeitgeist-Formel für solche Identitäts-Suchen lautet, es müsse bislang Verborgenes endlich „sichtbar gemacht“ werden. Vor einiger Zeit verfolgten die Dortmunderinnen am Museum Ostwall (vielfach verwischte) Spuren schwarzer Geschichte im Expressionismus. Jetzt sind die Frauen an der Reihe. Die Prognose sei gewagt, dass demnächst die Kunst queerer … Weiterlesen

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Momente großen Gesangs: Elīna Garança wird in der Philharmonie Essen gefeiert

Elīna Garança (Foto: Christoph Köstlin)

Perfekt, schlichtweg perfekt: Wie Elīna Garança die Arie „Mon cœur s’ouvre à ta voix“ aus Camille Saint-Saëns‘ „Samson et Dalia“ fließen lässt, erinnert an die größten Mezzosoprane der Gesangsgeschichte. Der Liederabend der Wiener Kammersängerin in der Philharmonie Essen wurde zum Ereignis.

Begonnen hat die lettische Sängerin im ersten Teil ihres Konzerts mit einem Liedprogramm. Von erinnerter, verschwiegener, verlorener Liebe sprechen die fünf Lieder von Johannes Brahms, denen sie Robert Schumanns Zyklus „Frauenliebe und Leben“ folgen lässt. Garança verbindet den dunkel leuchtenden Klang ihrer Stimme mit einer nie übertriebenen, aber auch nie dem schönen Ton opfernden Artikulation. Der diskret hoch über das Podium projizierte Liedtext ist in den meisten Fällen nicht nötig, hilft aber dem Verständnis … Weiterlesen

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„Try Praying“ – Endzeit-Gedichte von Sibylle Berg

Gedichte von Sibylle Berg? Na, das wird was sein. Bestimmt verdammt cool, hinreichend schnoddrig und von der Lebenswelt rundweg angewidert, oder? Mh. 

„Try Praying“ – ungefähr „Versucht`s mit Beten“ – heißt der schmale Band, der vermeintlich „Gedichte gegen den Weltuntergang“ versammelt. Doch sind es nicht eher Texte, die dem Weltuntergang und artverwandten Phänomenen folgen wie einem Sog, mithin Gedichte v o r dem oder z u m Weltuntergang, Endzeit-Gedichte, Singsang zum Tode?

„Es beinhaltet Trauer“

Zu den Gedichttiteln wird meist in Klammern eine lässig hingesetzte Angabe über Ingredienzen geliefert (z. B. „Es beinhaltet Nager und irgendwie auch einen Sonntag“, „Es enthält Fleischfresser“, „Es beinhaltet Trauer“, „Es geht irgendwie ums Geworfensein“ – na, und so weiter). Es sind bestimmt keine Klarstellungen.… Weiterlesen

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„Reality Check“ im Kunstmuseum Ahlen: Wirklichkeit auf dem Prüfstand

Theresa Möllers waldähnliche „Verwicklungen“: „Entanglements“ (2023), Acryl auf Leinwand, 140 × 170 cm (© Courtesy: She BAM! Galerie Laetitia Gorsy, Leipzig + VG Bild-Kunst, Bonn 2024)

Seit etlichen Jahren kursieren medial und zumal im Internet zahllose Fake News oder andere Lügen. Mit einer entfesselten KI-Revolution dürfte sich all das noch ungemein beschleunigen. Hohe Zeit also auch für die Kunst, die Realität und deren Gegenkräfte zu überprüfen. Obwohl: Bewegen sich die Künste nicht seit jeher irgendwo zwischen Wirklichkeit und Vorstellung? Ist nicht gerade das ihre eigentliche Domäne?

Nach fast jeder mittelprächtigen TV-Talkshow gibt es mittlerweile einen „Faktencheck“. Nun will das Kunstmuseum Ahlen die so genannte Wirklichkeit und deren divergierende Wahrnehmung ausloten. „Reality Check“ heißt die neue, von Museumsleiterin Martina Padberg kuratierte … Weiterlesen

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Klangsammler mit feiner Feder: Das Konzerthaus Dortmund würdigte Beat Furrer zum 70. Geburtstag mit einer „Zeitinsel“

Der Komponist Beat Furrer deutet auf die schroffen Kalkgipfel im Gesäuse, einer Gebirgsgruppe in der Steiermark, die größtenteils zum Nationalpark erklärt wurde. (Foto: Konzerthaus Dortmund)

Er wehrt sich gegen das Bild des versponnenen Elfenbeinturm-Bewohners. Obwohl der Komponist Beat Furrer, gebürtiger Schweizer, in einem abgeschiedenen Forsthaus in den österreichischen Bergen arbeitet, beteuert er im Podiumsgespräch mit dem Konzerthaus-Intendanten Raphael von Hoensbroech: „Ich möchte mich nicht zurückziehen. Ich lebe in dieser Welt und nehme Anteil an ihr.“ Das Konzerthaus Dortmund würdigte Beat Furrer aus Anlass seines 70. Geburtstags mit einem fünftägigen „Zeitinsel“-Festival.

Nachdem die „Zeitinseln“ der vergangenen Jahre Sofia Gubaidulina und Arvo Pärt porträtierten, entwickelte das Konzerthaus-Team die aktuelle Ausgabe in enger, persönlicher Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Wie hoch die Musikwelt Furrers … Weiterlesen

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Abgründe der Liebe – „Das Buch der Schwestern“ von Amélie Nothomb

Die Liebe zwischen Nora und Florent ist ausschließlich und selbstsüchtig. Jeder andere ist ein Störfaktor, wenn sie sich mit Blicken verschlingen und vor Begehren kaum an sich halten können.

Was sollen sie mit einem Baby anfangen? Doch plötzlich haben sie eine Tochter, taufen sie auf den Namen Tristane, überlassen das traurige Wesen ganz sich selbst und seiner kindlichen Fantasie. Schnell merkt die einsame Tristane, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen muss.

Die schiere Lust an neuen Worten

Tristane bringt sich das Sprechen und Lesen bei, fängt Wörter mit einem imaginären Lasso ein: „Wenn sie hinreißende Wörter wie Tamburin oder Schaukelpferd aufschnappte, verfiel sie in helle Aufregung“, sie erschauerte vor Lust, „als sie zum ersten Mal so tollkühn … Weiterlesen

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Vom Mysterium des Dirigierens: Klaus Mäkelä stellt sich als Porträtkünstler in Essen vor

Klaus Mäkelä (Foto: Marco Borggreve)

Da ist der Intendantin der Essener Philharmonie ein Coup gelungen. Noch bevor die Vermarktungsmaschinerie den 28jährigen Klaus Mäkelä richtig zwischen die Zahnräder bekam, hatte Babette Nierenz den kommenden Star für ein Künstlerporträt verpflichtet. Drei Mal kommt der gefragte junge Finne also nach Essen.

Das erste Konzert mit dem Concertgebouw Orkest, das er ab 2027 als Chefdirigent leitet, liegt bereits hinter ihm. Das zweite mit den Wiener Philharmonikern und der 1906 in Essen uraufgeführten Sechsten von Mahler findet am 19. Dezember statt. Und das dritte am 1. März 2025 bestreitet Mäkelä mit dem Orchestre de Paris, als dessen Musikdirektor er seit 2021 fungiert.

Es hat in den letzten Jahren keinen jungen Dirigenten gegeben, der so rasch … Weiterlesen

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Seelenfenster geöffnet: Tschaikowskys „Eugen Onegin“ in Krefeld-Mönchengladbach

Sofia Poulopoulou als Tatjana in der Inszenierung von Helen Malkowsky am Theater Mönchengladbach. (Foto: Matthias Stute)

„Eugen Onegin“ hat in diesem Jahr Konjunktur in Nordrhein-Westfalen. Bonn, Düsseldorf und Krefeld-Mönchengladbach zeigten Peter Tschaikowskys Meisterwerk. In Mönchengladbach wird die Inszenierung nun wieder aufgenommen.

Am 25. Februar dieses Jahres näherte sich Michael Thalheimer in Düsseldorf den „Lyrischen Szenen“ in einem harten hölzernen Verschlag von Henrik Ahr mit strengem, unbestechlich beobachtendem Minimalismus, gestützt von der leidenschaftlichen Lesart des neuen GMD der Rheinoper, Vitali Alekseenok (Wiederaufnahme war am 28. September). Nur eine Woche später präsentierte Regie-Shootingstar Vasily Barkhatov eine detailverliebte, psychologisch präzise Version der tragisch verfehlten Liebesgeschichte in opulenten Bildern von Zinovy Margolin an der Oper Bonn, begeisternd flexibel und transparent dirigiert vom neuen … Weiterlesen

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Ruin der menschlichen Beziehungen – Johan Simons inszeniert O`Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in Bochum

Szene mit (v.l.) Alexander Wertmann, Pierre Bokma und Guy Clemens. (Foto: Armin Smailovic/Schauspielhaus Bochum)

Am Eingang wird das Publikum gewarnt. Laut werde es, aber nur am Anfang, kostenlose Ohrenstöpsel gibt’s am Stand mit den Programmen. Auf der Bühne dann, der eiserne Vorhang hat sich gehoben, ein weißes Haus mit Fenstern, Tür und Inneneinrichtung. Das steht da einfach so, minutenlang, während aus dem Off ein betörend schönes, langsames Blechbläsersolo ertönt.

Kommt gleich Till Brönner um die Ecke? Nein, aber völlig unvermittelt kracht das Häuslein ohrenbetäubend zusammen, und die Stöpsel, die man für die schöne Musik aus den Ohren gezogen hatte, haben einem überhaupt nichts genutzt.

Ein Haus stürzt ein

Der stimmige Simonsche Knalleffekt nimmt vorweg, was in den folgenden drei Stunden … Weiterlesen

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Reizendes Kaleidoskop: Anna Vinnitskaya ist Porträtkünstlerin der Essener Philharmonie

Die Pianistin Anna Vinnitskaya. (Foto: Marco Borggreve)

Sergej Rachmaninow ist einer der Komponisten, zu denen Anna Vinnitskaya immer wieder zurückkehrt – und das dürfte nicht alleine daran liegen, dass sie einst am Rachmaninow-Konservatorium in Rostow am Don unterrichtet wurde. Mit dem eher selten gespielten Ersten Klavierkonzert in fis-Moll stellte sich die aus Russland stammende Pianistin als Porträtkünstlerin der Essener Philharmonie dieser Saison im Alfried-Krupp-Saal vor, begleitet von den Philharmonikern unter ihrem GMD Andrea Sanguineti.

Anna Vinnitskaya hat sich für die laufende Saison einen gewichtigen Rachmaninow-Schwerpunkt gesetzt und wird in Essen und der Region viel Präsenz zeigen. Bevor sie am 4., 5. und 9. Februar 2025 mit Rachmaninows Dritten, dem d-Moll-Konzert, nach Münster kommt, spielt sie im November die vier Konzerte … Weiterlesen

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Franz Schubert als Fixstern: Das Alinde Quartett verbindet kristalline Transparenz mit unbändiger Spielfreude

Beinahe eine italienische Familienangelegenheit: die vier aktuellen Mitglieder des Alinde Quartetts (v.l. Eugenia Ottaviano, Guglielmo Dandolo Marchesi, Gregor Hrabar, Bartolomeo Dandolo Marchesi. (Foto: Davide Cerati)

Die Sehnsucht nach dem großen Glück nimmt im Gedicht „Alinde“ von Friedrich Rochlitz die Gestalt einer jungen Frau an. Der lyrische Ich-Erzähler, der lang und bang auf seine Liebste wartet, ruft ungeduldig ihren Namen: „Alinde, Alinde!“ Franz Schubert, der die Verse 1827 als Strophenlied vertonte, lässt die Ersehnte wie ein Echo antworten: „Du suchtest so treu: nun finde!“

Das ist, in aphoristischer Kürze, ein Versprechen auf Erfüllung. Und nicht weniger als ein Omen für die vier Streicher, die sich 2011 als Alinde Quartett zusammenschlossen. Die Namenswahl gleicht einem Statement. Franz Schubert ist der Fixstern ihres … Weiterlesen

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Pfuschi, Fritten, Drogen-Dackel – der Sound des Reviers

Gezz ma‘ wacker gucken, wat „inne Fritten“ is‘. Oder sollte es sich nur um so eine Redensart handeln? (Foto: Bernd Berke)

Kurz zu berichten ist von einem ehrbaren Handwerker in Dortmund, der auf seine unverwechselbare Weise etwas von den älteren Revierzeiten lebt und verkörpert. Sein genaues Metier sei nicht genannt, sonst erfährt er am Ende noch, dass er gemeint ist. Muss ja nicht sein.

Ich höre von drei Äußerungen, die er während eines einzigen Kundengesprächs binnen weniger Minuten hervorgebracht habe. Leider lassen sich seine Ruhr(hoch)deutsch klingenden Redensarten nur sehr unzureichend schriftlich wiedergeben. Eigentlich muss man den Mann dabei hören und sehen. Über Wohl und Wehe von Borussia Dortmund kann der glühende BVB-Fan übrigens stundenlang schwadronieren. Könntet ihr das hören, würdet … Weiterlesen

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Wenn Monteverdi auf persische Mystik trifft: Musikschule Bochum feiert die kulturelle Vielfalt

Drei Mitglieder vom Ensemble Barbad: die Sängerin Maryam Akhondy (links), Sara Hasti (persische Kniegeige) und Ali Salami (persische Langhalslaute). (Foto: Bernd G. Schmitz)

Es gehört zum Leitbild der Musikschule Bochum, allen Altersgruppen und allen Einwohnern mit internationalen Wurzeln offen zu stehen. Zu ihnen zählt der 1937 in Karatschi (Pakistan) geborene Pervez Mirza, der mehr als 30 Jahre lang Klavier und Musiktheorie an der Musikschule unterrichtet hat. Er organisierte jetzt ein Konzert im Museum Bochum, das so unverbindlich bunt ausfiel, dass es gut zu einer Kasseler „documenta“ gepasst hätte.

Experimentelle Klänge und Videotheater tragen zu diesem Eindruck bei, denn Mirzas eigene Kompositionen, die das Programm wie ein roter Faden durchziehen, spielen häufig mit solchen Elementen. Exemplarisch dafür steht seine Komposition „Der … Weiterlesen

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Die Welt als Todesacker – „Mein drittes Leben“

Sie hatte alles: eine riesige Wohnung, einen spannenden Beruf und eine tolle Familie. Doch dann zerbricht Lindas Leben in einem einzigem Moment. Sonja, die geliebte Tochter, passionierte Rennradfahrerin und lebensfroher Freigeist, wird auf dem Weg zu einem Arzttermin von einem Lastwagen überrollt und zermalmt.

Alles, was für Linda eine Bedeutung hatte, löst sich mit einem Schlag auf. Sämtliche Gewissheit, alle Kraft und jeder Lebenssinn verlässt die Frau, die eben noch eine gefragte Kunstkuratorin war und ein schillerndes Dasein führte. Sie ist untröstlich, taumelt ziellos durch die Tage, kann keine Kunstschönheiten und keine fröhlichen Menschen mehr ertragen. Sie verlässt Richard, ihren Mann, einen nur mäßig erfolgreichen Maler, der lustlos dem Brotberuf eines Lehrers nachgeht.

Wenn die Zukunft versinkt

Statt sich in … Weiterlesen

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„Die Geschichten in uns“ – Leben und Schreiben des Benedict Wells

Immer wieder er hat seine Coming-of-Age-Story vom schüchternen Jungen in einem amerikanischen Provinzkaff der 1980er Jahre verändert und umgeschrieben, das ausufernde Manuskript radikal eingekürzt, an der Alltagssprache des Erzählers geschraubt.

Nächtelang hat er gegrübelt, warum er die Geschichte so wichtig findet und sie anderen mitteilen will, was sie mit seinem eigenen Leben zu tun haben könnte und ob die darin verwickelten Figuren vielleicht Gedanken und Wünsche von ihm selbst, dem Autor Benedict Wells, transportieren. Auch am Einstieg, mit dem er seine Leserschaft sofort neugierig machen, fesseln und nicht mehr vom Haken lassen will, hat er unzählige Male gefeilt.

Plötzlich ist alles ganz klar

Manchmal hatte er Angst, er kriege den Roman einfach nicht in den Griff und müsse ihn erst … Weiterlesen

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Der doppelte Herbert: Fritsch und Grönemeyer mit dem schrillen Spaß „Pferd frisst Hut“ bei der Ruhrtriennale

Eine glückliche Braut sieht anders aus: Cécilia Roumi (als Hélène) und Christopher Nell (als Fadinard) im Slapstick-Operetten-Musical „Pferd frisst Hut“ (Foto: Thomas Aurin)

Da weiß einer nicht, was er will. Der Strohhut aus Florenz, dem Fadinard am Tag seiner Hochzeit wie verrückt hinterherjagt – das Original wurde nämlich von seinem Droschkenpferd gefressen – ist lediglich ein Symbol dafür, dass der Mann am liebsten Reißaus nehmen möchte: vor der Braut, der Verwandtschaft, der Hochzeitsgesellschaft, womöglich sogar vor sich selbst. Denn er scheint noch nicht einmal sicher zu sein, zu welchem Geschlecht er sich hingezogen fühlt.

In der Kraftzentrale des Duisburger Landschaftsparks zeigt die Ruhrtriennale jetzt eine neue Version von „Der Florentiner Hut“, einer Verwechslungskomödie von Eugène Labiche aus dem Jahr 1851. … Weiterlesen

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Erzählstoff überall – Judith Kuckarts „Die Welt zwischen den Nachrichten“

Jede(r) möge es für sich bedenken: Welche – mehr oder weniger vagen – Berührungspunkte hatte mein Leben mit der Sphäre der Nachrichten? Und was folgt womöglich daraus? Judith Kuckart schneidet derlei Fragen in ihrem neuen, autobiographisch grundierten Roman „Die Welt zwischen den Nachrichten“ keineswegs umweglos an, sondern vielschichtig, hintergründig, zuweilen auch irrlichternd.

Staunenswert, welche Zeitlinien bis in die westfälische Provinzstadt Schwelm reichten, in der Judith Kuckart am (west)deutschen Einheits-Feiertag (17. Juni 1959) geboren wurde. Da war etwa die Schwelmer Apothekertochter Ina, die öfter auf die kleine Judith aufgepasst hat und sich Jahre später in Berlin (im Gefolge des Attentats auf den Studentenführer Rudi Dutschke) links radikalisiert hat. Noch etwas später war sie auf Plakaten der RAF-Terrorfahndung zu sehen und dürfte … Weiterlesen

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Finale um die Currywurst: Berlin vs. Ruhrgebiet

Manches, was immer und immer wieder als reviertypisch hervorgekramt wird, kann einem auf Dauer ein bisschen auf den Geist gehen. Grönemeyers Liedgut beispielsweise. Die ewige Rivalität zwischen Schalke und dem BVB. Die alljährlich abgefeierte Büdchenkultur. Oder die Currywurst. Doch im Grunde ist uns all das ans Herz gewachsen, oder etwa nicht?

Seit Jahrzehnten wird im Ruhrgebiet medial auf Biegen und Brechen darauf hingearbeitet, dass die Currywurst im Revier erfunden worden sei – und nicht in Berlin. Ein neues Buch soll jetzt „endgültig“ Klarheit bringen, ist passenderweise im Klartext-Verlag erschienen und heißt „Alles Currywurst – oder was?“

Da sich der Klartext-Verlag in Essen befindet, ist die Stoßrichtung vorgegeben. Wir wollen ja hier nicht spoilern, aber dreimal darf man raten, ob Berlin … Weiterlesen

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