Nüchterne Inventur: Ulrich Peltzers „Der Ernst des Lebens“

Nur selten liest man Bücher, die so unaufgeregt und nüchtern daherkommen wie Ulrich Peltzers Roman „Der Ernst des Lebens“. Dabei geht es doch ums Ganze.

Der Autor ist offenbar jedem Getue abhold – ebenso wie sein Antiheld Bruno van Gelderen. Der zieht Zwischenbilanz, hält Inventur. Was ist der Treib-, Schmier- und Klebstoff (s)eines Lebens? Immer wieder das Geld, das halt komfortabel ausreichen sollte, aber wohl doch nicht überbewertet werden darf. Auch andere große Beweger wie Heimat, Sucht und Tod kommen in Betracht. Liebe auch, aber fast schon nebenher. Und die Sinnfrage „Wozu das alles?“ lauert stets am Wegesrand. Na, wenn schon.

Entscheidungen treffen

Was fehlt, was bleibt? Was wäre noch möglich und denkbar (gewesen)? Was ist versäumt worden? Regiert nicht … Weiterlesen

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Dies und das in Wuppertal

Da kommt sie ja, die unverzichtbare Schwebebahn. (Foto vom 27. März 2011: Bernd Berke)

Wuppertal denke ich mir immer etwas abseits, im Windschatten des Ruhrgebiets, meinetwegen auch im toten Winkel von Düsseldorf liegend. Das mag ungerecht sein. Es ist halt nur so ein Gefühl. Und so geht’s auch weiter, nämlich vorwiegend assoziativ.

„Zuckerpuppe“ und Blankenese

Wie es mir jetzt wieder in den Sinn kam, hat es mit der Stadt u. a. folgende, durchaus ulkige Bewandtnis: Sie kam in zwei sehr populären Stimmungs-Schlagern vor – 1961 als Schlussgag in Bill Ramseys „Zuckerpuppe (aus der Bauchtanzgruppe)“, wo jene „Suleika“ gar nicht so orientalisch ist, sondern Elfriede heißt und offenbar just aus Wuppertal kommt. Außerdem zählte die Stadt 1981 zum Zielgebiet in Gottlieb … Weiterlesen

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Das Ungeheuer vom Harkortsee lockt die Welt ins Revier

Der Harkortsee mit Blick aufs Revierstädtchen Wetter. Bald könnten sich hier Seeungeheuer tummeln – wenn wir es nur wollten. (Foto: Bernd Berke)

Nun liegt die Fußball-EM auch schon wieder ein Weilchen hinter uns – und im Revier muss man sich wieder nach anderen touristischen Attraktionen umsehen. Es gibt leichtere Aufgaben. Doch guter Rat ist gar nicht so teuer, es gibt ihn hier sogar gratis!

Der Reihe nach. Gestern gingen meine Frau und ich an Ruhr und Harkortsee entlang, zwischen den seitwärts gelegenen, recht idyllischen Revier-Städtchen Herdecke und Wetter. Da wurde eine gemeinsame Erinnerung wach: Vor rund 20 Jahren waren wir im schönen Schottland und dort unter anderem am Loch Ness (aka Lough Ness), dem mutmaßlichen Aufenthaltsort des weltberühmten See-Ungeheuers und … Weiterlesen

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Bücher, kurz vorgestellt: Hotel, Proletariat, Apokalypse

Ich leiste Abbitte. Hier sind noch drei Bücher, die wohl eine ausführlichere Besprechung verdient hätten. Doch fehlte mir wegen besonders misslicher Umstände schlicht und einfach die Zeit, die jetzt schon wieder in Richtung Herbst galoppiert. Drum seien die Bände hier immerhin kurz vorgestellt:

Eine veritable Wiederentdeckung ist der Roman von Maria Leitner: „Hotel Amerika“ (Reclam, 256 Seiten, 25 Euro). Das erstmals 1930 erschienene Buch zählt zur Spezies der urbanen Hotelromane, die in den bewegten 1920er Jahren aufblühte. Kein Geringerer als Siegfried Kracauer rezensierte das Buch damals für die legendäre Frankfurter Zeitung und arbeitete die Unterschiede zu thematisch ähnlich gelagerten Schöpfungen von Vicki Baum und Joseph Roth heraus.

Maria Leitner, die selbst in prekärer Stellung in einem New Yorker Hotel gearbeitet … Weiterlesen

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Vom Blog zum Buch: Gerd Herholz und seine „Interventionen aus dem Ruhrgebiet“

Dies ist eigentlich keine Rezension. Es wäre ja auch ziemlich unredlich, hier eine Kritik zu Gerd Herholz‘ Buch „Gespenster GmbH“ zu veröffentlichen, hat doch die Erstfassung vieler der darin versammelten Blog-Beiträge just in den Revierpassagen gestanden.

Ergo habe ich sie seinerzeit selbst gegengelesen und punktuell redigiert, was freilich bei einem so versierten Autor wie Herholz kaum nötig ist. Er ist einer, der überaus sorgfältig mit seinen (und anderen) Texten umgeht und wohl dennoch nie hundertprozentig zufrieden mit den Resultaten des eigenen Tuns ist. Ein Perfektionist eben. Aber beileibe kein unnachgiebiger Rechthaber.

„Interventionen aus dem Ruhrgebiet“ heißt sein Band im Untertitel, auf dem Cover prangt ein nicht gar so glanzvolles „Dortmunder U“. Für die Buchfassung hat Herholz die Beiträge noch einmal … Weiterlesen

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Mit allen Sinnen eintauchen: „Kopfüber in die Kunst“

Ferdinand Spindel: Schaumraum, 1969/2024, Ausstellungsansicht aus „Kopfüber in die Kunst“, 2024. (Foto: Roland Baege)

Eines der Zauberworte im Kulturbetrieb lautet seit einigen Jahren so: „immersiv“. Nicht distanzierte, abwägende Kunstbetrachtung ist demnach gefragt, sondern ein spontanes und möglichst tiefes „Eintauchen“ in die Materie, seien es nun musikalische, literarische oder bildnerische Werke. In Dortmund, wo nun Kunst speziell für Kinder und deren Familien aufbereitet wird, sagt man es alltagsnäher: „Kopfüber in die Kunst“, lautet hier die fröhliche Parole. Die „Immersion“ steht im Untertitel.

Stationen der Schau sind acht raumgreifende Environments und Installationen. Solche Arbeiten, durch die man sich bewegen kann, hat das nunmehr 75 Jahre alte Museum Ostwall unter dem damaligen Direktor Eugen Thiemann erstmals gegen Ende der 1960er Jahre gezeigt. Ein … Weiterlesen

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Zwischen Brontë und O’Neill – Schauspielhaus Bochum kündigt Programm für 2024/2025 an

Der Intendant des Bochumer Schauspielhauses Johan Simons und Chefdramaturgin Angela Obst präsentierten das Programm der kommenden Spielzeit (Foto: Daniel Sandrowski/Schauspielhaus Bochum)

„Ausgewogen“ – hartnäckig setzt sich das Wort fest und lauert auf Wiederaufruf, wenn man sich das Programm des Schauspielhauses Bochum für die kommende Spielzeit durchliest. Dreimal werden Stücke inszeniert, viermal ist Literatur die Vorlage; viermal richtet sich das Angebot an Kinder und Jugendliche, vier projektartige Produktionen schließlich kreisen um die Themenfelder Ökologie, Frieden, KI. Der Rest ist unterschiedlich zuzuordnen.

Abhängig von den Zuordnungen kann man auch zu anderen Zahlen kommen, jedenfalls ist für jeden (und jede!) etwas dabei. Und einmal mehr ist man dem Hausherrn Johan Simons dankbar dafür, daß er in Zeiten, in denen „Rechtspopulist*innen immer mehr Zuspruch“ … Weiterlesen

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Der betonierte Horror asiatischer Ballungsräume, oder: Warum das Ruhrgebiet gar nicht so übel ist

Verwechselbare Aussicht: Blick auf einen Teil Tokios (Bild: rp)

Ich bin in Asien gewesen. Kreuzfahrtschiff. Hong Kong und Shanghai, Südkorea und Taiwan, vor allem aber Japan. Mit wenigen Ausnahmen immer in Städten, in großen Städten, Megastädten – Großräume, nüchterner ausgedrückt, in die das Ruhrgebiet drei-, vier-, fünfmal hineinpassen würde. Hochstraßen auf mehreren Etagen, Hochbahnen, Hochhäuser und bei letzteren der unübersehbare Wettbewerb, wer den Größten hat, den größten Wolkenkratzer.

Das, was man sonst in Fernost so sucht, Gärten, Schreine, Historie, mickert irgendwo in der Ecke oder wird von der Stadtautobahn überdonnert. Deprimierender Gedanke des ersten Tages und vieler folgender: Hier möchtest du nicht leben.

Wahrnehmungen eines europäischen Touristen

Natürlich sind diese meine touristischen Wahrnehmungen, gelinde gesagt, ausschnitthaft und oberflächlich. Aber wie … Weiterlesen

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Ein Grundklang für Generationen: Bochums Jugendsinfonieorchester feiert sein 50-jähriges Bestehen

Norbert Koop leitet das Jugendsinfonieorchester der Stadt Bochum seit 1999. Seit 2019 ist er zudem Leiter der Musikschule. Er hat einen Lehrauftrag an der Folkwang Universität der Künste und arbeitet als Dozent für Orchesterdirigieren an der Bundesakademie in Trossingen. (Foto: privat)

Lassen wir die Festtags-Floskeln. Verzichten wir einfach mal auf die Rede von der talentierten Jugend, auf das Lob der Nachwuchsförderung, auf das Wortgeklingel von der kulturellen Bildung und vom städtischen Musikleben. Erst hinter solchen Phrasen zeigt sich, weshalb das nunmehr 50 Jahre alte Jugendsinfonieorchester der Stadt Bochum die Kinder so vieler Familien geprägt hat – und das über Generationen. Weshalb die Ehemaligen, die der aktuelle Dirigent Norbert Koop zum gemeinsamen Jubiläumskonzert im Anneliese Brost Musikforum eingeladen hatte, 30 und … Weiterlesen

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Seltsame Artikel-Serie über Zwangsversteigerungen

Wie sich schon die Überschriften ähneln – RN-Ausrisse aus dem Dortmunder Süden.

Leute, Leute, was soll das denn bloß wieder werden? Etwa eine Artikel-Serie? Das wäre ein Unding sondergleichen.

Die Rede ist mal wieder vom oftmals dürftigen Dortmunder Lokalteil der Ruhrnachrichten (RN), der einen leider auch als Dreingabe in der WAZ verfolgt. Während aus Innen- und Gesamtstadt zuweilen akzeptabel berichtet wird, franst das Ganze vor allem auf den Stadtteil-Seiten häufig ins Abstruse aus; so jetzt mit der neuen Marotte, anstehende Immobilien-Zwangsversteigerungen zum redaktionellen Erzählstoff umzufrisieren.

Wie bitte? Jawohl. Was sonst nur in den amtlichen Mitteilungen steht, wurde jetzt für den Dortmunder Süden gleich an drei aufeinander folgenden Tagen von einem Mitarbeiter (dessen Name hier gnädig verschwiegen sei) als durchaus verzichtbarer … Weiterlesen

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Schuld sind immer die anderen – zweimal jugendliches Schicksal bei den Ruhrfestspielen

Szene aus „The Silence“: Dimitrij Schaad gibt den Autor und Regisseur Falk Richter. (Foto: Gianmarco Bresadola / Schaubühne Berlin / Ruhrfestspiele)

Das Schauspiel-Programm der diesjährigen Ruhrfestspiele ist, sagen wir mal: vielfältig. Für alle ist was dabei, derzeitige politische Pflichtthemen werden artig abgearbeitet, auch Solistisches ist dazwischen. Doch Begeisterung will sich nicht recht einstellen.

Das hat natürlich wesentlich damit zu tun, daß fast alle Produktionen vorher schon hier und da zu sehen waren, kritisiert, eingeordnet und abgehakt wurden. Warum sollte man genauer noch hinsehen, wenn schon die Kritik abriet? Der Autor dieser Zeilen jedenfalls, der sich oft lieber an alte Theaterzeiten erinnert statt dem Neuen entgegenzufiebern, wähnte sich nur selten in der Notwendigkeit, einmal persönlich reinzuschauen bei den Ruhrfestspielen.

Mit Eidinger … Weiterlesen

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Fürchterliche Kumpanei – der BVB-Deal mit der Waffenschmiede Rheinmetall

Jetzt Makulatur: meine BVB-Mitgliedskarte.

So! Es ist vollbracht. Heute habe ich meine Mitgliedschaft beim BVB 09 gekündigt. Dreimal darf geraten werden, welchen Grund ich dafür hatte. Oder auch nur einmal. Denn natürlich geht es um den nach (nicht nur) meiner Ansicht verwerflichen Sponsoren-Deal mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall, der allzeit prächtig von internationalen Krisen und „Waffengängen“ profitiert.

Für die Düsseldorfer Firma mag es einen Image-Gewinn bedeuten, sich mit ein paar Milliönchen an Borussia Dortmund heranzuwanzen. Für den Verein (nun vollends unglaubwürdiges Motto: „Echte Liebe“) bedeutet es hingegen einen herben Image-Verlust. Zahlreiche Fans melden Protest an – und ich bin sicherlich nicht der einzige Anhänger, der die Konsequenz des Vereinsaustritts zieht. Ich habe auch gleich die Mitglieds-Plakette von meinem Auto abgezogen. Wenn … Weiterlesen

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Freiheit, Albtraum und Erschöpfung – Theresia Enzensbergers Gedanken übers Schlafen

Hanser Berlin bringt derzeit und bis zum Frühjahr 2026 sukzessive 10 Bände über die wichtigsten Dinge des menschlichen Daseins heraus (Liste am Schluss dieses Beitrags). Theresia Enzensberger, 1986 geborene Tochter von Hans Magnus Enzensberger, Romanautorin („Blaupause“, 2017 – „Auf See“, 2022), außerdem Mitarbeiterin etlicher Premium-Medien, ist dabei schreibend fürs Schlafen zuständig.

Ein Hauptstrang ihres Essays handelt vom Schlaf unter kapitalistischen Bedingungen. In dieser Hinsicht diene er lediglich dazu, die Arbeitskraft wiederherzustellen. Dabei könnte er doch – mitsamt den Träumen – ein unkontrollierbares, unverfügbares Reich der Freiheit sein. Prinzipiell stehe der Schlaf außerhalb der sonst so universellen kapitalistischen Verwertbarkeit. Theresia Enzensberger ergreift die Gelegenheit, in solchen Zusammenhängen wieder einmal Karl Marx zu zitieren – ehedem flächendeckend üblich, heute eher selten.

Die … Weiterlesen

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Gegen Diktatur half keine Kunst – Durs Grünbeins Kriegsbuch „Der Komet“

Mit 16 hat Dora bäuerliche Armut und dumpfe Enge ihrer schlesischen Heimat verlassen und ist mit ihrem Freund, dem Metzger Oskar, nach Dresden gezogen. Sie leben bescheiden und erschaffen ihren beiden Töchtern ein kleinbürgerliches Paradies.

Das Geld reicht aus, um in den Tierpark zu gehen und die Kunstschätze der Kulturmetropole zu bewundern. Von Politik halten sie sich fern. Das Gebrüll Hitlers ist ihnen suspekt. Vor dem Schicksal der mitleidlos vertriebenen Juden schließen sie aber die Augen. Und die mit dem Krieg am Horizont aufziehende Katastrophe wollen sie nicht wahrhaben. Obwohl die Front näher rückt und viele deutsche Städte bereits in Schutt und Asche liegen, glauben sie an die Unantastbarkeit und Unverletzlichkeit ihrer glorreichen Stadt.

Dann, in der Nacht auf den … Weiterlesen

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„Komm, liebe Sau…“

Manchmal braucht man eben eine schweinische Illustration. (Foto: Bernd Berke)

Weiß auch nicht, warum ich mich ausgerechnet jetzt an diese kleine Episode erinnere. Egal. Sei’s drum.

Ich muss ungefähr acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Es stand ein Grundschul-Diktat an (damals hieß diese Schulform noch „Volksschule“). Ein herziger, ziemlich bescheuerter Satz, den wir zu schreiben hatten, lautete so: „Komm, liebe Sonne und scheine!“ Da stach mich der Hafer, wie man damals wohl zu sagen pflegte.

Flugs war der Satz im kleinen Geiste umgewandelt, und zwar wie folgt: „Komm, liebe Sau und scheiße!“ Haha. Wie gesagt, es war Achtjährigen-Humor. Frei nach Karl Valentin: Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht (gleich) getraut. Also fragte ich meinen … Weiterlesen

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Erlittenes Leben, betrübliches Altern – Didier Eribons Buch „Eine Arbeiterin“

Vor allem mit seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ war Didier Eribon – u. a. nach und neben Nobelpreisträgerin Annie Ernaux – einer derjenigen, die das autobiographische („autofiktionale“) Erzählen neuerer Prägung enorm beeinflusst haben. Selberlebensbeschreibungen, zumal von hernach mühsamst aufgestiegenen Kindern aus dem Arbeitermilieu, hatten jüngst geradezu Konjunktur. Auch jetzt wendet sich Eribon nicht von diesem Themenkreis ab, er fokussiert seinen Blick aber anders, und zwar aufs Leiden am Altern.

Sein neues Buch „Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben“ setzt ein, als der Ich-Berichterstatter (unverhüllt Eribon selbst) in der nordfranzösischen Provinz ein passendes Altenheim für seine hinfällige Mutter sucht. Dies erweist sich als außerordentlich schwieriges Unterfangen.

Was als Schilderung aus dem misslichen Alltag beginnt, verzweigt sich in Reflexionen zu gesellschaftlichen Zuständen … Weiterlesen

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Chinesische Lyrik geht hier „viral“ – aber warum bloß?

Sollte dieses metallische Wesen etwa chinesische Lyrik lesen? (Foto eines regionalen Briefkastens: Bernd Berke)

Leute, dieses Kuriosum muss ich jetzt doch einmal vermelden: Wie aus dem Nichts hat ein länger zurückliegender Beitrag in den Revierpassagen fulminante Zugriffszahlen erzielt, er „geht viral“, wie quotengierige Menschlein so zu labern pflegen.

Wir sprechen von einem Text unseres im März 2023 verstorbenen Gastautors Heinrich Peuckmann, der sich für den 1. Januar 2018 mit chinesischer Lyrik befasst hat. Eher unauffällig, stand der Artikel seither im Hintergrund des Blog-Geschehens. In den letzten Tagen „schoss“ er jedoch urplötzlich an die Spitze aller hier jemals veröffentlichten Beiträge, verzeichnete auf einmal 6555 Aufrufe und verdrängte damit unversehens sämtliche anderen Texte auf die Plätze. Nur noch auf den Rängen landeten … Weiterlesen

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Kunst retten oder reinigen wollen – und dabei vernichten

Den flapsigen Spruch „Ist das Kunst – oder kann das weg?“ fand ich persönlich immer schon ziemlich bescheuert. Schon gar nicht zeugt er von ästhetischem Sinn. Etwas origineller kommt jetzt ein Bändchen aus dem Dumont-Verlag daher, in Anspielung nennt es sich: „Das war Kunst – Jetzt ist es weg“. Halbwegs launig, aber nicht leichtfertig werden hier teilweise unfassbare Verluste verzeichnet.

Wohl gar nicht so selten werden Kunstwerke dermaßen dilettantisch „restauriert“, dass sie kaum noch wiederzuerkennen sind. Besonders in Spanien scheint dies ein Problem zu sein, weil dort der Zugang zum Berufsfeld der Kunstrettung kaum geregelt ist. So grotesk sind mitunter die Verzerrungen der Originale geraten, dass man sich mit Grausen abwendet und an bösartigen Mutwillen glauben könnte. Da werden einstmals … Weiterlesen

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Langer Abschied vom Generalmusikdirektor: Gabriel Feltz wechselt bald von Dortmund nach Kiel

Hat bald einen neuen Arbeitgeber: Dortmunds Generalmusikdirektor Gabriel Feltz. (Foto: Andy Spyra/Dortmunder-Philharmoniker)

Einmal noch – dann ist es vorbei: Das (gut bemessene) Jahrzehnt, in dem Generalmusikdirektor (GMD) Gabriel Feltz ausschließlich in Dortmund – und als Chefdirigent in Belgrad – den Taktstock hob. Er geht nach Kiel. In der kommenden Spielzeit werden Dortmund und Kiel sich, wenn man einmal so sagen darf, den Generalmusikdirektor Feltz teilen, und dann ist er weg. Somit ist es wohl ein Abschied auf Raten, der eigentlich in dieser Spielzeit schon begonnen hat – mit einer Art Ruhrgebiets-Programm als dankbarer Verbeugung vor einem alles in allem doch sehr treuen Konzerthauspublikum.

Nun ging das achte philharmonische Konzert der laufenden Spielzeit, umjubelt natürlich, über die Bühne; Nummer neun wird … Weiterlesen

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Ruhrtriennale will Lust auf Zukunft wecken

Szene aus „Pferd frisst Hut“ nach Eugène Labiche mit Musik von Herbert Grönemeyer. (Foto: © Thomas Aurin / Theater Basel / Ruhrtriennale)

Man muss schon sehr tief in die jeweilige kreative Materie eindringen, um solche Kombinationen und Mischformen zu realisieren, wie es auch bei der kommenden Ausgabe der Ruhrtriennale wieder geschehen soll: Unter dem neuen Dreijahres-Intendanten, dem renommierten belgischen Theatermacher Ivo Van Hove (er amtiert bis 2026 im Revier), sollen beispielsweise Lieder von Edvard Grieg inszenatorisch mit Rock-Energie aufgeladen oder Chorwerke von Anton Bruckner mit Songs der Isländerin Björk in elektrisierende Verbindung gebracht werden. Da horcht man doch jetzt schon auf und wünscht gutes Gelingen!

Ivo Van Hove, der bereits in früheren Triennale-Zyklen als Gastregisseur fünf Inszenierungen beigesteuert hat (davon … Weiterlesen

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Ein Licht im Dunkel: „Vox Luminis“ bringt alte Passionsmusik in der Philharmonie Essen

Ein Schauprozess, eine ungerechte Verurteilung, eine brutale Hinrichtung: Was vor 2000 Jahren einem gewissen Jesus, Zimmermannssohn aus Nazaret, angetan wurde, wiederholt sich heute an tausenden von Opfern von Terror und Gewalt. „Vox Luminis“, die „Stimme des Lichts“ haben wir alle nötig in düsteren Zeiten von Krieg, gesellschaftlicher Spaltung, global beschädigter Natur.

Der Karfreitag erinnert Christen an den Tod ihres Erlösers Jesus Christus. Wer dem Christentum nicht folgt, mag diesen Tag zur Besinnung und Mahnung an das Leid so vieler Menschen weltweit verstehen.

An die christliche Tradition knüpft das Karfreitagskonzert in der Essener Philharmonie an, wenn es zwei bewegende Werke kirchenmusikalischen Schaffens aus der Barockzeit zum Klingen bringt: Das seit 20 Jahren bestehende Ensemble „Vox Luminis“ widmet sich der zwei Generationen … Weiterlesen

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Die Eintrittskarte ist noch da: Vor 50 Jahren wurde das Westfalenstadion eröffnet

Meine Original-Eintrittskarte vom 2. April 1974. (Foto: Bernd Berke)

Irgendwo musste ich sie doch noch verwahrt haben, diese historische Eintrittskarte. Und tatsächlich: In einem Nostalgie-Ordner steckte sie noch. Wie könnte ich sie wegwerfen! Manche mögen sogar sagen, es sei eine Art „Reliquie“.

Heute vor genau 50 Jahren (jaja, man wird nicht jünger) berechtigte das Ticket zum Eintritt ins damals nagelneue Dortmunder Westfalenstadion, wo am 2. April 1974 um 20 Uhr das Eröffnungsspiel des BVB gegen den langjährigen Revier-Rivalen FC Schalke 04 anstand. Die Blauen gewannen 3:0. Es waren andere Zeiten, fürwahr.

Man hätte damals meinen können, das Stadion sei zur Unzeit errichtet worden, war Borussia Dortmund doch 1972 in die Zweite Bundesliga abgestiegen. Doch 1976 gelang der Wiederaufstieg. Welche rasante … Weiterlesen

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Sphärische Strahlkraft: Das Londoner Oktett VOCES8 erobert das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm mit Gesang

A-cappella-Gesang vom Feinsten: VOCES8 wurde im Jahr 2003 gegründet und 2005 von den Brüdern Paul und Barnaby Smith neu gruppiert, die schon als Knaben im Chor von Westminster Abbey sangen. (Foto: Markus Liesegang)

Ob es wohl süchtig macht, so singen zu können? Acht Stimmen zu einem einzigen Instrument verschmelzen zu lassen, kristallklar, lupenrein, homogen, mit sphärischer Strahlkraft?

Hunderttausendfach werden die Musikvideos des 2003 in London gegründeten Oktetts VOCES8 (sprich: ˈvo:tʃes eɪt) im Internet aufgerufen, die Alben millionenfach gehört. Wo das Oktett auch auftritt, zeigt es sich trotz hoher Gesangskunst nahbar. Es wendet sich seinem Publikum zu, sei es in London oder Tokio, in Amsterdam oder Peking.

Das Kulturbüro der Stadt Hamm konnte VOCES8 jetzt für zwei Konzerte gewinnen. Zuerst trat … Weiterlesen

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Jede Oper eine eigene Welt: Mit Peter Eötvös verliert die musikalische Welt einen prägenden Komponisten

Das Bild zeigt Peter Eötvös bei einem Gespräch am 25. Juni 2014 anlässlich der Uraufführung seiner viel gespielten Oper „Der goldene Drache“ in Frankfurt. (Foto: Werner Häußner)

Eine typische Selbsttäuschung: Zuerst wollte ich die Nachricht gar nicht glauben, dachte, es sei eine Falschmeldung. Doch schnell bestätigte sich: Peter Eötvös ist am Sonntag, 24. März gestorben, mit 80 Jahren. Innerhalb nur weniger Tage hat die musikalische Welt nach Aribert Reimann (1936-2024) einen zweiten prägenden Komponisten der letzten Jahrzehnte des 20. und ersten des 21. Jahrhunderts verloren. Nachrufe wird es genug geben, daher hier ein paar persönliche Erinnerungen an einen Herzblut-Musikmenschen, der auch mit dem Rheinland eng verbunden war.

Der Ungar Peter Eötvös, geboren 1944 in Székelyudvarhely in Siebenbürgen, war ein wunderbar … Weiterlesen

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Die einen saufen so, die anderen so – zur wiederentdeckten Studie „Betrunkenes Betragen“

Wiederveröffentlichungen nach Jahrzehnten sind in der Belletristik nichts Ungewöhnliches, wohl aber im Sachbuchbereich. „Betrunkenes Betragen“ (Originaltitel „Drunken Comportment“) ist ein solch seltener Fall.

Die ethnologische Studie über den Umgang mit Alkohol bei den verschiedensten Völkern und Gruppierungen, verfasst von den kalifornischen Anthropologen Craig MacAndrew und Robert B. Edgerton, ist bereits 1969 erschienen. Der deutsche Schriftsteller und Psychiater Jakob Hein hat sie nun als wichtige Wiederentdeckung erneut herausgebracht und übersetzt. Vorworte zur alten und zur neuen Ausgabe markieren den historischen Abstand. Das Wort „Betragen“ mutet etwas antiquiert an und dürfte hierzulande vielen Leuten zuletzt auf Schulzeugnissen der 1960er Jahre begegnen sein. Es wird ganz bewusst abgegrenzt vom eher flüchtigen „Verhalten“ („behavior“).

Bis in die hintersten Winkel der Erde

Natürlich trägt ein … Weiterlesen

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Entdeckung der Gelassenheit – „Das kleine Haus am Sonnenhang“ von Alex Capus

„Als ich noch ein ziemlich junger Mann war, nicht mehr Student und noch nicht Schriftsteller, habe ich für fast kein Geld im Piemont ein kleines Haus gekauft.“ Das marode Gemäuer, versteckt in einem Seitental an einem Sonnenhang gelegen, ist schwer und bei schlechtem Wetter nur zu Fuß zu erreichen. Es zieht durch alle Fugen und Ritzen, aber in den Augen des neuen Besitzers ist es genau das Richtige, um auszusteigen und sich neu zu erfinden.

Denn der junge Mann, der bisher ziellos durchs Leben geisterte und sich mit journalistischen Arbeiten über Wasser hielt, will seinen ersten Roman schreiben und Schriftsteller werden. Zwei, drei Jahre lang wird er sich in die Einsamkeit zurückziehen, die Ruhe genießen und die Gelassenheit entdecken, die … Weiterlesen

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Zwischen Bühne und Familie – Jörg Hartmanns Chronik „Der Lärm des Lebens“

Gibt es überhaupt noch Fernsehprominenz ohne Buchveröffentlichung? Schwerlich. Jetzt ist endlich auch Jörg Hartmann (weithin bekannt als Dortmunds zur Depression neigender „Tatort“-Kommissar Faber) an der Reihe.

Bei seinem Buch „Der Lärm des Lebens“ handelt es sich um eine streckenweise sehr nachdenklich und zuweilen melancholisch, zwischendurch aber auch süffig erzählte Autobiographie. Eine lebensnahe Mixtur also, die vom etwas aufdringlichen Titel (Stichwort „Lärm“) gar nicht so recht erfasst wird.

Zungenschlag des östlichen Ruhrgebiets

Der 1969 im westfälischen Hagen geborene Hartmann ist im eher beschaulichen Herdecke bei Dortmund aufgewachsen. Wann immer er auf diese Vergangenheit zurückblickt oder spätere Besuche bei den Eltern schildert, gibt er die Dialoge in der charakteristischen Mundart des östlichen Ruhrgebiets wieder. Dabei stimmt nicht nur der Zungenschlag, auch die … Weiterlesen

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Märchenwelten: Das Musiktheater im Revier vereint Kurzopern von Tschaikowsky und Strawinsky zum reizvollen Doppel

Ein Garten wie eine Insel: Jolanthe (Heejin Kim) ist blind und lebt abgeschieden von der Welt. Doch Ritter Vaudémont naht (Khanyiso Gwenxhane. Foto: Pedro Malinowski)

Die Liebe lehrt sie sehen: Jolanthe, blinde Titelheldin von Tschaikowskys letzter Oper, gleicht einer Dornröschenfigur, die erwacht – und dadurch erwachsen wird. Von ihrem Vater streng behütet, erfährt sie erst durch einen fremden Ritter, dass es jenseits ihres abgeschiedenen Gartens eine sichtbare Welt voller Farben und Formen gibt.

Märchenhafte Züge trägt auch Igor Strawinskys Oper „Le rossignol“ (Die Nachtigall), ein Auftragswerk nach einer Vorlage von Hans Christian Andersen. Weil beide Werke nicht abendfüllend sind, erlebt man sie selten auf der Bühne. Das Gelsenkirchener Musiktheater (MiR) bindet sie jetzt zu einem reizvollen Doppel zusammen.

Das ist … Weiterlesen

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Loslassen lernen – Bernhard Schlinks Roman „Das späte Leben“

Martin ist sechsundsiebzig und blickt auf eine erfolgreiche Karriere als Jurist und Uni-Professor zurück. Spät hat der notorische Junggesellen noch das kleine private Glück gefunden.

Warum sich die viel jüngere Ulla, eine lebenslustige Frau und Malerin abstrakter Bilder, mit denen Martin nichts anzufangen kann, sich für den verschlossenen Juristen entschieden hat, ist ihm ein Rätsel. Doch er genießt ihre Liebe und freut sich jeden Tag darauf, Sohn David in den Kindergarten zu bringen und nebenbei noch als Autor von juristischen Aufsätzen gefragt zu sein.

Es bleiben nur wenige Wochen

Doch von einer Sekunde auf die andere zerbricht die Idylle, sind alle Träume von einem geruhsamen Alter dahin. Die Diagnose seines Arztes lautet: Bauchspeicheldrüsen-Krebs im Endstadium. Was fängt er an mit … Weiterlesen

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Auch ohne Bundesinstitut: Essen will Maßstäbe in der Fotokultur setzen

Sein Nachlass kommt nach Essen: Fotograf Michael Schmidt (1945-2014), hier in seiner Ausstellung „Waffenruhe“ im Essener Museum Folkwang, aufgenommen am 9. Februar 1988. (© Marga Kingler/Fotoarchiv Ruhr Museum)

Essen als d i e deutsche Fotografie-Stadt? Nun ja, es ist kompliziert. Nach politischem Willen, insbesondere auf Bundesebene, wird das noch zu gründende Deutsche Fotoinstitut eben nicht in der Ruhrstadt, sondern in Düsseldorf angesiedelt. Doch just heute ging man in Essen an die Öffentlichkeit, um kundzutun, dass man auch so gehörige Pflöcke einschlagen kann: Das hochkarätige Archiv Michael Schmidt, Nachlass eines prägenden Fotografen des 20. Jahrhunderts, kommt im Herbst aus Berlin dauerhaft in die Fotografische Sammlung des Museums Folkwang.

Da erhob sich im Verlauf der Pressekonferenz gar die Frage, ob Düsseldorf angesichts … Weiterlesen

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Auf den Spuren des Unnahbaren – Karl Ove Knausgard über Anselm Kiefer

Mit seinem sechsbändigen autobiografischen Roman-Projekt „Mein Kampf“ wurde Karl Ove Knausgard zu einem der wichtigsten Schriftsteller der Gegenwart. Der norwegische Autor hat wohl kaum je eine Zeile geschrieben, die nicht auf seinen eigenen Erlebnissen und Erfahrungen beruht und ein Spiegel seiner Gedanken und Wünsche ist.

Als er in London eine Retrospektive mit Werken von Anselm Kiefer besucht, ist er erschüttert und zugleich fasziniert. Wie kann es sein, fragt sich Knausgard, dass Bilder von blutbefleckten Schneelandschaften, dunklen Wäldern und leeren Äckern, bedeckt mit Stroh und Asche, von Blei übergossen, mit krakeligen Schriftzeichen versehen, Bilder, in denen keine Menschen vorkommen, „trotzdem randvoll mit dem Menschlichem aufgeladen“ sind? Wo kommen all die verstörenden Werke her, die einem das Gefühl geben, „die Existenz an … Weiterlesen

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„Mut zu einem ganz neuen Anfang“ – David Grossmans Plädoyer für Frieden im Nahen Osten

Wenige Tage nach dem 7. Oktober 2023, als Terroristen die Grenze zu Israel überwanden, ein Massaker an Juden verübten und zahlreiche Geiseln nach Gaza verschleppten, schwankt David Grossman zwischen Entsetzen und Ohnmacht. Seit Jahren hatte der israelische Autor sich gegen die Besatzung ausgesprochen, Frieden und eine Zweistaaten-Lösung angemahnt.

„Was jetzt geschieht“, schreibt er, sei ein „Alptraum“ und zeige „den Preis, den Israelis zu zahlen haben, weil sie sich jahrelang von korrupten Politikern verführen ließen“, die „das Justizwesen, das Erziehungswesen wie auch die Armee unterhöhlten und bereit waren, uns alle existenziellen Gefahren auszusetzen, um den Ministerpräsidenten vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren.“

Doch bei aller „Wut auf Netanjahu, seine Leute und sein Vorgehen“ dürfe man sich „keiner Täuschung hingeben: Die Gräueltaten dieser … Weiterlesen

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Seelische Zerstörung: Floris Vissers penetrantes Bildertheater für Mozarts „Idomeneo“ in Köln

In der Gummizelle: Kathrin Zukowski (Ilia), Kinderstatist, Anna Lucia Richter (Idamante), Peter Bermes (Idomeneo). (Foto: Sandra Then)

Der alte Mann entkommt seiner Zelle nicht. Auf weiße gepolsterte Wände zeichnet er mit nervösem Strich immer wieder das gleiche Männchen, mit einem Dreizack in der Hand. Beim Familienbesuch rastet er aus, muss mit einer Spritze ruhiggestellt werden.

Floris Visser führt während der Ouvertüre von Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“ die Titelfigur als einen Gezeichneten ein. Kein herkömmliches Regietheater-Irrenhaus-Setting: Denn die Zelle weitet sich, eröffnet einen Hintergrund in hyperrealistischem Licht, mit dem James Farncombe die felsige Strandlandschaft der Bühne Jan Philipp Schlößmanns in überzeichnet scharfe Konturen taucht. Der Naturalismus eines „Schauplatzes“ wird so ausgehebelt; der alte Mann, unschwer als Idomeneo zu identifizieren, beginnt durch … Weiterlesen

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„Vergnügen und Verlust“ – Ruhrfestspiele präsentieren Programm 2024

Stefanie Reinsperger in der Titelrolle von Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ (Foto: Matthias Horn/Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Nun ist es da, das Programm der diesjährigen Ruhrfestspiele. „Vergnügen und Verlust“ ist es überschrieben, und in diesem Titel, so Intendant Olaf Kröck, spiegele sich das weltpolitische Übel unserer Zeit ebenso wie die Notwendigkeit, es mit den Mitteln des Spiels, des Schauspiels, des Theaters samt all seinen Facetten mithin anzugehen.

Die Autorin und Übersetzerin Esther Kinsky wird die Eröffnungsrede halten, „in ihren Texten“, wir zitieren den Pressetext, „hat sie sich der Erkundung und Überwindung der Fremde als existentielle, menschliche Erfahrung verschrieben.“

Akrobatisch, atemberaubend

Vielfalt der Menschen und Ethnien, der Stilmittel und des künstlerischen Ausdrucks prägen das Programm vor allem in den Bereichen, die mit wenig oder … Weiterlesen

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Magie des vollendeten Tons: Joyce DiDonato und das Ensemble „Pomo d’oro“ in der Philharmonie Essen

Joyce DiDonato als Irene in Georg Friedrich Händels„Theodora“ 2021 in der Philharmonie Essen. (Foto: Sven Lorenz)

Kaum merklich schwebt der Ton im Saal, nimmt allmählich Gestalt an, verdichtet sich, klingt erfüllt und leuchtend – und dann schwingt er sich auf das Wort und trägt es in den Raum. Joyce DiDonato stimmt die Klage der verlassenen Königin Dido an.

Der Tod ist ihr ein willkommener Gast: Aeneas, der Held aus dem gefallenen Troja hat sie verlassen, folgt einem vermeintlichen Befehl der Götter. Bei Henry Purcell, dem genialen Musikmagier aus dem alten England, bleiben die Götter außen vor: Der Spruch, der Aeneas zur Abreise nötigt, ist das Blendwerk von Hexen, deren Entzücken das Böse und deren ganze Kunst die Missetat ist.

Dagegen … Weiterlesen

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Bloß nicht von Experten einschüchtern lassen – „Das Weinbuch ohne Blabla“

Vorab bemerkt: Dieses Buch ist bereits seit fünf Monaten auf dem Markt, liegt in der dritten Auflage vor und hat immerhin den Deutschen Kochbuchpreis bekommen. Doch erst durch ein Interview der Süddeutschen Zeitung mit der Autorin Louisa Maria Schmidt bin ich darauf aufmerksam geworden. Also habe ich „Das Weinbuch ohne Blabla“ käuflich erworben. Nix Rezensionsexemplar.

Interessant und ermutigend erschien mir Schmidts Ansatz, dass sich die Leute nicht durch hochtrabende Weinexperten (wohl wirklich überwiegend Männer) ins Bockshorn jagen lassen, sondern ihrem eigenen Geschmack auch ohne sonderlichen Fachjargon auf die Spur kommen sollten. Tatsächlich gibt es auf diesem Felde viel affiges Getue, von dem sich die Autorin wohltuend fernhält. Also auf zur Verkostung! Munter reingeschnuppert und reingeschmeckt ins Buch:

Natürlich packt die … Weiterlesen

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„Ich will leer sein, einfach leer“ – Jon Fosses Literatur als Gottesdienst

Gott benötigte sieben Tage, um Licht in die Dunkelheit zu bringen und die Welt zu erschaffen. Der norwegische Autor Jon Fosse braucht 1200 Buchseiten, um die Gnade Gottes zu erlangen, die düstere Welt eines von Schmerz und Leid gepeinigten Künstlers zu erhellen und ihm Erlösung zu schenken.

In Fosses „Heptalogie“, einem auf drei Bücher  angelegten Roman-Zyklus, dreht sich alles um Werden und Vergehen, Leben und Tod des Malers Asle. Er ist Anfang sechzig, trägt, wie der Literaturnobelpreisträger, einen grauen Pferdeschwanz, und ist, wie Jon Fosse, zum Katholizismus konvertiert. Asle ist nicht nur das verfremdete Alter Ego des Autos, er hat auch selbst noch einen Doppelgänger gleichen Namens, der die dunkle Seite künstlerischer Kreativität und Selbstzerstörung verkörpert, dem Suff verfallen ist … Weiterlesen

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„Also hieß es wieder Koffer packen“ – Erinnerungen des Theatermannes Jürgen Flimm

Schon als kleiner Kölner Junge ist Jürgen Flimm rettungslos dem Theater und der Musik verfallen, er singt im Knabenchor und liebt kindliche Rollenspiele. Im Schlepptau seiner Großmutter besucht er die städtischen Bühnen und Konzerthallen. Die Freikarten werden ihnen von einem Onkel zugesteckt, der als Organist und Journalist in der Domstadt sein kulturelles Unwesen treibt.

Jürgens Vater ist tagsüber Mediziner und verbringt abends als Theater-Arzt viele Stunden im Dunstkreis der Bühnen. Kaum verwunderlich, dass es auch den jungen Studenten Jürgen magisch zur Kunst und zur Avantgarde zieht. Von Dada ist es nicht weit zu Fluxus, von Kurt Schwitters und Hans Arp ist es nur ein Steinwurf zu Karlheinz Stockhausen, Joseph Beuys, Pina Bausch und Samuel Beckett. „Keine Frage, ich wollte Regisseur … Weiterlesen

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Eher widerwillig mitgemacht – Borussia Dortmund zur NS-Zeit

Wie stand es in der NS-Zeit um den BVB? Hat der Verein am faschistischen Unwesen freiwillig oder eher notgedrungen mitgewirkt? Solchen Fragen, die sich keinesfalls „erledigt“ haben, widmen sich Rolf Fischer und Katharina Wojatzek in ihrem Buch „Borussia Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945″.

Sie haben, so gut es angesichts der schwierigen Quellenlage nur ging, das Thema mit dem Rüstzeug der Geschichtswissenschaft eingehend recherchiert und bislang unbekannte Details zutage gefördert. Der BVB, dessen Präsident Reinhold Lunow ein Vorwort geschrieben hat, hat die Untersuchung nach Kräften unterstützt. Gut so.

Wertvolle Pionierarbeit hatte schon 2002 Gerd Kolbe mit seiner Publikation „Der BVB in der NS-Zeit“ geleistet, für die er noch zahlreiche Zeitzeugen befragen konnte. Im Sinne der zunehmend aufgewerteten „Oral History“ … Weiterlesen

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Lasst euch nicht bei-rren, auch nicht von Blumento-pferden

Höchstwahrscheinlich keine Blumento-pferde. (Foto: BB)

Der Befund gilt auch und gerade für die, die sich zubilligen, mit der Sprache einigermaßen gut umgehen zu können: Eine Neigung zu oder gar Freundschaft mit (bestimmten) Wörtern entsteht nicht selten auf dem Umweg über Irritationen. Ein Beispiel folgt auf dem Fuße.

Ein Wort, das mich als Kind und gar bis in die Jugend hinein befremdet und ratlos gelassen hat, war „beirren“. Lange, sehr lange habe ich geglaubt, die kurze Sprechpause müsse nach der Silbe „bei“ gesetzt werden, so dass es bei-rren hätte lauten müssen. Was aber hatte dieser rätselhafte Rest-Sprachfetzen „rren“ zu bedeuten?

Dass der zweite Teil mit „irren“ zu tun haben könnte und am Anfang lediglich das „be“ zu isolieren wäre, blieb mir … Weiterlesen

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