Empathiemangel in Zeiten der Cholera – Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ in Bochum

Szene mit (v.l.) Amelie Willberg, Anne Rietmeijer, Guy Clemens, Dominik Dos-Reis, Victor Ijdens (Foto: Matthias Horn/Schauspielhaus Bochum)

Sie kommen einem alle so bekannt vor, der Weltverbesserer, der liebestolle Tierarzt, der prügelnde Trinker, die enttäuschte Gattin, das aufsässige Dienstmädchen und all die anderen. Mag sich die bürgerliche Gesellschaft im alten Rußland auch im Niedergang befinden, ihre Vertreter wußten auf der Bühne, in ungezählten Inszenierungen vergangener Jahrzehnte, zuverlässig zu begeistern. Jedenfalls in den Stücken von, beispielsweise, Maxim Gorki, „Die Kleinbürger“, „Nachtasyl“, „Die Sommergäste“.

Starke Charaktere sind sie, getrieben ebenso wie reflektiert, auf tragische Weise unvollkommen. Jetzt gibt es in Bochum, in der Regie von Mateja Koležnik, Gorkis „Kinder der Sonne“ zu sehen. Und etwas irritiert fragt man sich, was aus den Helden … Weiterlesen

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„Geh nicht durchs Gewischte!“ – Torsten Sträters „Heimspiel“ in der großen Westfalenhalle

Mit der weithin berühmten Mütze: Torsten Sträter (Aufnahme vom Januar 2020). (Foto: © Harald Krichel / Wikimedia Commons – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Torsten Sträter war spürbar und eingestandenermaßen richtig gerührt, als er jetzt vor Tausenden in der Dortmunder Westfalenhalle 1 (also in der „Großen“) aufgetreten ist. Beim „Heimspiel“ ließ er sich nicht lumpen und stand solo beachtliche zweieinhalb Stunden auf der Bühne, Pause nicht mitgerechnet. Allein das war schon eine reife Leistung.

Die veranstaltungslose Zeit der Pandemie, so bekannte der Comedian, habe ihn in wirkliche Depressionen gestürzt. Und überhaupt: Für den gebürtigen Dortmunder (Jahrgang 1966, aufgewachsen im stark vom Bergbau geprägten Ortsteil Eving) war gerade dieser Abend etwas Besonderes. In jungen Jahren sei ihm Dortmund immer wie die „große … Weiterlesen

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Begegnung musikalischer Kulturen: Das Essener Festival „NOW!“ öffnet neue Horizonte

Alexej Gerassimez, in Essen-Werden geboren, war Solist in Tan Duns „The Tears of Nature“ in der Philharmonie Essen. (Foto: Alexej Lund)

15 Ur- und deutsche Erstaufführungen, ein weiter Blick auf außereuropäische Musik von Indien über Afrika bis Indonesien, ein Schwerpunkt auf Korea und spannende Experimente, die europäische klassische Instrumente mit solchen aus anderen Kulturen kombinieren: Die 12. Ausgabe des Essener Festivals „NOW!“ kann eine respektheischende Bilanz vorlegen.

Die „Neuen Horizonte“, die das Motto versprach, wurden tatsächlich erreicht. Eigentlich wäre jede einzelne der so sorgsam kuratierten 17 Veranstaltungen wert, ausführlich betrachtet zu werden. Das Herauspicken von „Highlights“ ist nicht gerecht, denn wenn das eine Konzert mit Opulenz und Aufwand aufwartet, punktet das andere mit konzentrierter Intimität oder außergewöhnlichem Programm. Und so … Weiterlesen

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Wie ein Fluss ohne Ufer: Ulrike Anna Bleiers Roman „Spukhafte Fernwirkung“

Ulrike Anna Bleiers Roman Spukhafte Fernwirkung entfaltet ein Panorama der gegenwärtigen Gesellschaft. Es können zweihundert Personen sein, von denen wir etwas erfahren, vielleicht sind es mehr, vielleicht weniger. Ungeheuerliches wird erzählt, ein Amoklauf in einem Einkaufszentrum, eine fragwürdige, aber medienwirksame Geiselnahme in einer Zeitungsredaktion, es werden Pistolen und MPs herumgetragen und benutzt, eine Frau begegnet ihrem Stalker wieder, der ihr die Karriere als Schauspielerin versaut hat, eine Schiffskatastrophe mit Todesopfern wird geschildert, Auto- und Bahnunfälle und anderes von großer Tragweite.

Menschen in alltäglichen Berufen und ohne Beruf, Menschen am Rande der Gesellschaft wie Silvana, die keine Beine hat, auf der Straße sitzt und hyperbolische Räume häkelt; ein Mensch wie Erika, die beim Fernsehen kluge Gedanken zum Verhältnis von Dingen und … Weiterlesen

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Der Heimkehrer ist nicht willkommen – „Einfach das Ende der Welt“ nach Jean-Luc Lagarce im Bochumer Schauspielhaus

Familienaufstellung mit Benjamin Lillie (links, von hinten), Maja Beckmann (Mitte) und Wiebke Mollenhauer (Foto: Diana Pfammatter/Schauspielhaus Bochum)

Es war dann doch gut, nicht in der Pause gegangen zu sein. Wenn der Rest des Abends in der Pause absehbar gewesen wäre – und bei einer angekündigten „Familientrilogie“ konnte man ja fast davon ausgehen – hätte man sich den Rest möglicherweise schenken können. Aber diese Inszenierung, und das ist wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, schafft es bis zur Pause, mit einem einzigen Darsteller auf der Bühne auszukommen.

Keine Maja Beckmann, keine Ulrike Krumbiegel; der Rezensent gibt gerne zu, daß er vor allem wegen den beiden großartigen Schauspielerinnen ins Bochumer Schauspiel gekommen war. Nun denn: Der (im Stück namenlos bleibende) Hauptdarsteller heißt im wirklichen Leben … Weiterlesen

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Cra Cra, Bum Bum, Din Din! Gioachino Rossinis „Italiana in Algeri“, historisch informiert aufgeführt in Berlin

Quicklebendiger Belcanto im nackten Mauerwerk der Kino-Bühne im Berliner Theater im Delphi. Auf dem Bild von links: Miloš Bulajić (Lindoro), David Oštrek (Mustafa Bey), Polly Ott (Elvira), Hannah Ludwig (Isabella), Manuel Walser (Taddeo). (Foto: Anna Tiessen)

Historisch informiert – das kannte man bis vor wenigen Jahrzehnten nur im Bezug auf alte Musik. Pioniere wie Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt erweiterten das Wissen um historische Spielweisen und Aufführungspraktiken enorm. Inzwischen ist auch die Zeit der Romantik bis hin zu Johannes Brahms und Richard Wagner ins Blickfeld gerückt.

Nur bei einem der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, Gioachino Rossini, und im romantischen Belcanto von Bellini bis Verdi hat diese Bewegung bisher kaum Resonanz erzielt. Eine Produktion in Berlin will das ändern: Im … Weiterlesen

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„Nun zähl auf, was es gibt“: Durs Grünbeins Gedichtband „Äquidistanz“

Speziell durch Berlin lässt es sich nicht einfach so arglos gehen oder gar unbeschwert flanieren. Viel zu groß ist die Geschichtslast, die hier eigentlich alle Wege beschwerlich macht. Mit diesem (hernach vielfach variierten und verdichteten) Befund beginnt Durs Grünbeins neuer Gedichtband „Äquidistanz“.

Da heißt es etwa im ersten Zyklus:

Schattiger Waldweg, sprich: zu welchem KL, Außenlager, Nebenlager, Arbeitsdienstlager, Waffendepot, Folterkastell führst du mich?

In der folgenden Strophe, ganz bündig:

und immer kreuzt eine Vergangenheit den Weg.

Kriege, Diktatur und Teilung haben tiefe Spuren hinterlassen, die hier überall zu finden und kaum zu verwischen sind. Auch die heutige Stadtlandschaft erweist sich – im Gedicht „Der Ort“ – als unwirtliches Brachland:

Keine Heimat: Für die Ausgestoßenen bloß eine Anhäufung von Steinen.

Das … Weiterlesen

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Totale Maskerade: Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ am Aalto-Theater Essen wieder aufgenommen

Szene mit Chor und Solisten des Aalto-Theaters aus Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“. (Foto: Saad Hamza)

Gustav III. von Schweden, das historische Vorbild von Giuseppe Verdis Riccardo im „Maskenball“, war ein Opern- und Theaternarr. Dietrich Hilsdorf hat in seiner Inszenierung für das Essener Aalto-Theater daraus eine virtuose Konstruktion abgeleitet. Alles, bis aufs bittere Ende, ist Maskerade.

Jetzt erlebte die aus dem Jahr 1999 stammende Arbeit Hilsdorfs eine szenisch sorgfältig einstudierte Wiederaufnahme. Kompliment an Marijke Malitius: Die Intentionen des Regisseurs sind wiedererkennbar, der Abend hat szenische Spannung und wirkt unverbraucht packend wie eh und je.

Zum lebendigen Eindruck trägt das Dirigat von Elias Grandy, gastierender GMD aus Heidelberg, nicht unwesentlich bei. Er lässt das Orchester atmen und achtet auf die … Weiterlesen

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Impressionismus und Fotografie – zwei Wege in die Moderne

Fotografie im Geiste des Impressionismus – Peter Henry Emerson: „Seerosenpflücken“, 1886 (Platindruck, 19,5 x 29 cm). Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, erworben 1989, Sammlung Rolf Mayer. (© Foto: bpk / Staatsgalerie Stuttgart / Peter Henry Emerson)

Es gab nicht viele deutsche Museen, die impressionistische Kunst lange vor dem Ersten Weltkrieg gesammelt haben, als sie noch nicht kanonisiert war. In Berlin, Hamburg, München und Bremen waren sie immerhin frühzeitig dabei – und wohlgemerkt in Wuppertal, wo das örtliche Kunsthaus vor 120 Jahren (genau: am 25. Oktober 1902) bürgerschaftlich gegründet wurde.

Mit dem Pfund der frühen Ankäufe (u. a. Werke von Sisley, Signac, Cézanne, Monet) lässt sich noch heute wuchern, und so bestreitet man jetzt abermals überwiegend aus Eigenbesitz eine Ausstellung zum Themenkreis. … Weiterlesen

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Die „Hitlerwerdung“ Adolf Hitlers – Feridun Zaimoglus riskanter Roman „Bewältigung“

Als Romangestalt bleibt der Autor namenlos. Zunehmend scheint es so, als hätte eine fremde Macht von ihm Besitz ergriffen, so dass er gar kein Individuum mehr sein kann; als hätte er sich selbst verloren. Dahinter steht ein furchtbar monströses Projekt: Er hat sich vorgenommen, einen Roman zu schreiben, dessen Hauptperson Adolf Hitler ist. Genauer: Es geht um die frühen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, sozusagen um die „Hitlerwerdung“ Hitlers.

Besagter Autor hat Dutzende von Büchern durchgearbeitet, die das „Phänomen“ Hitler erschließen sollen. Er hat sich auf Recherche-Reise begeben – nach Bayreuth, wo Winifred Wagner den späteren „Führer“ angehimmelt hat; nach München, wo er einige Lieblingsorte Hitlers aufsucht; nach Dachau; zum Obersalzberg.

Mehr und mehr muss der Autor sich Hitler als … Weiterlesen

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Kunst schlägt Couture: Das Concertgebouworkest Amsterdam beginnt Residence in der Philharmonie Essen

Martin Fröst (Klarinette), Alain Altinoglu (Dirigent) und das Concertgebouworkest in der Philharmonie Essen. (Foto: Sven Lorenz/TuP)

Wir kennen das noch aus so mancher Altherrenkritik: Wenn Damen aufs Podium traten, war die Garderobe mindestens so rezensabel wie die künstlerische Leistung. Das war manchmal eine hinterlistige Methode der indirekten Kritik, oft aber bloß purer Ausdruck von Sexismus.

Der genugtuenden Gerechtigkeit halber sei’s gesagt: Der Anzug des Klarinettisten Martin Fröst mit seinen weiß konturierten Kanten war so stylish, dass er eine Erwähnung wert ist.

Doch auch in diesem Fall muss die Couture hinter die Kunst zurücktreten: So viel spielerische Souveränität auf der Klarinette soll jemand erst einmal nachmachen! Was Fröst wie selbstverständlich aus seinem Instrument in den seltsam lückenhaft besetzten Saal der Essener … Weiterlesen

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20 Jahre Konzerthaus Dortmund (I): Symbol für den Wandel im Ruhrgebiet

Drei Intendanten prägten bisher die Erfolgsgeschichte des Dortmunder Konzerthauses (von links): Benedikt Stampa, Raphael von Hoensbroech und Ulrich Andreas Vogt. (Foto: Björn Woll)

Am 8. September 2002 wurde das Konzerthaus Dortmund förmlich überrannt: 40.000 Menschen wollten am „Tag der offenen Tür“ das neue Gebäude besichtigen. Die stolze Bilanz nach 20 Jahren: Dreieinhalb Millionen Besucher in rund 4.000 Veranstaltungen.

Doch Intendant Raphael von Hoensbroech will darob nicht die Hände in den Schoß legen: Die Aufgabe, neue Publikumsschichten in den Bau im Dortmunder Brückstraßenviertel zu locken, sieht er noch nicht als erfüllt an. Zufrieden zeigt er sich bei der Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung der 21. Spielzeit mit dem Ticketverkauf: Schon jetzt sei der Umsatz des Jahres 2019 erreicht – allerdings bei leicht … Weiterlesen

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20 Jahre Konzerthaus Dortmund (II): Beethovens „Apotheose des Tanzes“ fehlt der scharfe Blick auf den Rhythmus

Wenn schon die spritzige Eingangsfloskel zwischen Klavier und Trompete so nadelspitz akkurat gelingt, kann eigentlich nichts mehr schief gehen in Dmitri Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester op.35.

Andris Nelsons dirigiert das Gewandhausorchester Leipzig. (Foto: Björn Woll)

Der junge japanische Pianist Mao Fujita – eingesprungen für die erkrankte Yuja Wang – und der Trompeter Gábor Richter sticheln dieses ironische Zitat aus Beethovens „Appassionata“ so gekonnt in den Raum, dass für die folgenden drei Sätze kein Zweifel an ihrer Klasse aufkommt.

Der 23-Jährige am Flügel beginnt sein Eingangssolo eher lebensfroh beschwingt als im beiläufigen Improvvisando, steigert sich dann fulminant in die typischen atemlosen Repetitionen und schrägen Gassenhauer-Melodien, verliert sich im Lento – Moderato zu den delikat abgestimmten Streichern des Gewandhausorchesters … Weiterlesen

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Journalist vom besten alten Schlage – Fritz Pleitgen ist gestorben

Gerade in Zeiten, da das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem hie und da ins Gerede geraten ist, betrübt diese Nachricht umso mehr: Der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen ist mit 84 Jahren in Köln gestorben. Er stand für eine Ära, als ARD und ZDF meistenteils für vorbildlichen Journalismus bürgten.

Fritz Pleitgen am 29. Mai 2010 bei der Eröffnung der „Emscherkunst“ in Herne. Wikimedia Commons © Arnoldius / Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Wenn Fritz Pleitgen eine Aufgabe übernahm, konnte man stets darauf bauen, dass die Sache in den richtigen Händen war. Das galt auch, als der gebürtige Duisburger 2007 Geschäftsführer der Europäischen Kulturhauptstadt Ruhrgebiet 2010 wurde.

In diesen Zusammenhängen hat er seinerzeit die Kulturredaktionen des Reviers öfter zusammengerufen und über seine ambitionierten Vorhaben informiert – … Weiterlesen

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Im Haifischbecken der Berliner Politszene – Christoph Peters‘ Roman „Der Sandkasten“

Lang ist’s her: Anno 1953 erschien Wolfgang Koeppens legendärer Roman „Das Treibhaus“, der den Politbetrieb der frühen Bonner Bundesrepublik famos zur Sprache brachte. Großer Zeitsprung: 2018 erhielt der Schriftsteller Christoph Peters just den Wolfgang-Koeppen-Preis. Jetzt legt Peters‘ seinen Roman „Der Sandkasten“ vor, in dem er sich (in bewusster Anknüpfung an den großen Vorläufer) anschickt, aus dem Maschinenraum des jetzigen Berliner Polit- und Medienbetriebs zu plaudern.

Peters‘ Protagonist heißt Kurt Siebenstädter und gilt mit seinen 51 Jahren als einflussreichster Hörfunkjournalist Deutschlands, gleichermaßen geachtet und gefürchtet wegen seiner zupackenden, entlarvenden Art der Gesprächsführung, die schon manchen Gast in Verlegenheit gebracht hat. Siebenstädter ist Skeptiker durch und durch, er vertritt keinerlei parteinahe Überzeugung und traut sich gerade deshalb, von solcher Warte aus Prominente … Weiterlesen

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Mit Brahms in den Kosmos der Liebe: Magdalena Kožená in der Philharmonie Essen

Die Liebe, die von Johannes Brahms besungen wird, ist selten so jauchzend-berauscht wie in „Meine Liebe ist grün“. Oft hängt sie einer still schmerzlichen Sehnsucht nach, beschwört verzweifelt Festigkeit und Ewigkeit, schwimmt ratlos in Tränen. Wer also Brahms‘ Liebeslieder singt, wird sich dieser Ambivalenz stellen müssen – im Wort und im Klang der Stimme.

Magdalena Kožená hat für ihren Liederabend in der Essener Philharmonie vierzehn der gewichtigen Miniaturen zusammengestellt, die ein Spektrum der Liebe auffächern – Widerhall des Schwärmens in der Natur („Nachtigall“), resignierte Trostlosigkeit („Verzagen“), Ahnungsvolles und Geisterhaftes („Meerfahrt“), Sehnsuchtsvolles und auch ein wenig Schnippisches („Vergebliches Ständchen“). Diesen Kosmos durchschreitet sie mit kühlem Ton. Sie spielt kaum mit dem Wort, meidet es, Schlüsselbegriffe tonmalerisch hervorzuheben, trägt lyrische Farben nur … Weiterlesen

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Wenn die Weltseele kocht – Phantasien über „Das Zuhause“

Wenn ein Buch „Das Zuhause“ heißt, so lässt sich alltagsnaher Lesestoff erhoffen. Doch der Philosophie-Professor Emanuele Coccia enttäuscht derlei Erwartungen. Er geht stets aufs Ganze und vermischt alles mit allem, bis einem der Kopf schwirrt.

Das Zuhause steht bei Coccia für eine Sphäre, die sich von der Öffentlichkeit und den Städten absetzt, in der die Welt überhaupt erst bewohnbar wird, mithin für einen allgemeinen, recht diffusen Glückszusammenhang, der immer erst noch entstehen muss.

Weitschweifig schildert der Denker, wie er 30 internationale, um nicht zu sagen globale Umzüge hinter sich gebracht hat und schlussfolgert: „Selbst in Momenten des intensivsten Nomadentums werden wir wieder zu einem Zuhause.“ So genau wollten wir es gar nicht wissen.

Sodann führt er seine wildwüchsigen Gedanken spazieren … Weiterlesen

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Bereichernder Abend: Werke der Komponistin Lili Boulanger bei der Ruhrtriennale in Gladbeck

Die Bochumer Symphoniker mit Florian Helgath (Mitte) am Pult nach dem Konzert in der Maschinenhalle Zweckel. (Foto: Werner Häußner)

Wie war das mit komponierenden Frauen? Die Klagen über die Abwesenheit ihrer Werke klingen schon seit Jahren durch die gendersensiblen Räume, aber die Programme der etablierten Sinfonieorchester öffnen sich viel zu zaghaft, selbst wenn dirigierende Frauen am Pult walten – von den Opernhäusern ganz zu schweigen.

Dass ein beliebtes Argument, es gebe eben nicht ausreichend qualitätvolle Werke, so nicht gilt, demonstrierte ein Konzert der Ruhrtriennale in der weiträumigen Maschinenhalle der schon 1963 stillgelegten Zeche Zweckel in Gladbeck.

In dem seit 1988 denkmalgeschützten Industriebau mit seinen ungewöhnlich sorgfältig ausgeführten Baudetails – erwähnenswert ist zum Beispiel eine elegante eiserne Jugendstiltreppe – gestalteten das … Weiterlesen

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Unheimlich geheimnislos: Klaus Mäkelä und das Concertgebouworkest mit einem brillanten Mahler in Köln

Klaus Mäkelä. (Foto: Marco Borggreve)

Der Satz, so abgedroschen er klingt, stimmt: So hat man Mahler noch nicht gehört. Der 26jährige Klaus Mäkelä liefert bei seinem Debüt in der Kölner Philharmonie mit dem Concertgebouworkest eine Sechste, deren Scharfschnitt und Präzision geradezu unheimlich sind.

Ein unerbittlich flotter Marschrhythmus zu Beginn, räumlich aufgespannte Bläser – etwa wenn die Hörner den Trompeten antworten –, ruhevolle Choralinseln der Holzbläser, ein „Alma“-Thema, in dem die Streicher klingen, als habe Antonín Dvořák ein paar Takte seiner warmen Melodik ausgeliehen.

Mäkelä ist ab 2027 Chefdirigent des traditionsreichen, in den letzten Jahren im Zuge zweifelhafter Vorwürfe gegen seinen früheren Chef Daniele Gatti ins Zwielicht und durch lange Führungslosigkeit künstlerisch ins Trudeln geratenen Orchesters. Davon war in Köln nichts … Weiterlesen

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Feinsinn und verhaltene Erotik: Ein Garten der Liebe im Globe-Theater Neuss

Xavier Sabata (links, Venus) und Roberta Mameli (Adonis) im Globe in Neuss. (Foto: Johannes Ritter)

Shakespeare hätte das wohl gefallen: Im rheinischen Neuss steht das „Globe“ am Rand der Galopprennbahn, eingekeilt von Bauzäunen, Parkplätzen, Funktionsgebäuden und einer schwer definierbaren Außengastronomie. Mitten unter dem Volk sozusagen, ein unauffälliger Holzbau, dem berühmten Londoner Theaterbau nachempfunden.

Innen schrauben sich 500 Plätze, nicht von englischer Eiche, sondern von feuersicherem Stahl getragen, in engen Kreisen in die Höhe. Meist von oben herab verfolgt der Zuschauer, was auf der Bühne geschieht. Nahe ist man den Darstellern – nirgends weiter entfernt als zehn Meter, heißt es auf der Homepage des Shakespeare-Festivals, das seit 1991 in dem nach Neuss geholten Bau Stücke von und um den elisabethanischen … Weiterlesen

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Was vor sich geht und wie – Jürgen Beckers „Gesammelte Gedichte“

Misslicher Vorfall mit Nachwirkung: Inmitten der Lektüre diesen grandiosen Sammelbandes bin ich erkrankt und habe wochenlang unterbrechen müssen. Ich will das alles nachholen, Stück für Stück. Das ist ja immerhin das Gute daran: Das (Wieder)-Lesen liegt größtenteils noch voraus.

Wir haben hier nichts weniger als ein Lebenswerk in seinem stetigen Fortgang, ein wahres Monument, das freilich keines sein will. Es ragt aus den Zeiten von unvergesslichen Autoren wie Nicolas Born und Rolf Dieter Brinkmann, angloamerikanischern Anregern (W. C. Williams u. a.) oder auch bildenden Künstlern wie Wolf Vostell zu uns herüber, in all seiner Fragmentierung und all seinem angewachsenen  Zusammenhang. Jürgen Beckers „Gesammelte Gedichte“ zählen unbedingt zu den Hauptwerken der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Man möchte geradezu hymnisch werden, doch käme kritiklose … Weiterlesen

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Unergründlich zu allen Zeiten – Mariette Navarros Meeres-Roman „Über die See“

„Einverstanden“ hat sie gesagt. Zu ihrer eigenen Überraschung.

Wozu die namenlose Übersee-Kapitänin ihr Plazet gegeben hat, erfahren wir nach einer Spannungsphase: Die tatsächlich ausnahmslos maskuline Mannschaft ihres Frachtschiffs darf – bei abgeschaltetem Motor und deaktiviertem Radar – mitten im Ozean, weit hinter den Azoren, schwimmen gehen; nackt, wie die Natur sie schuf.

Was zunächst wie ein unschuldiges Quietschvergnügen erscheint, erweist sich als existentielles Erlebnis nach Art einer zweiten Geburt mitsamt kollektiven Urschreien – und schließlich als unheimliches Ausgeliefertsein. Werden die Kräfte zur Rückkehr reichen?

Mariette Navarros Roman „Über die See“ (französischer Originaltitel: „Ultramarins“) lesend, möchte man zwischenzeitlich nicht allzu viel aufs Überleben der Crew verwetten. Auch in dieser Lektüre kann man sich gleichsam ausgesetzt fühlen. Einzig und allein die Kapitänin … Weiterlesen

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„Auf dem Meer der Verwunderung“ – Kapitel 3: Blicke zurück

Großvater Fritz, Kradfahrer auch er. – Foto privat

Skript, das gutes Buch werden möchte, sucht VerlegerIn und LektorIn!

Das 220 Seiten lange „Auf dem Meer der Verwunderung“ erzählt Momente einer Lebens- und Familiengeschichte im Kontext gesellschaftlicher Zusammenhänge, regionaler Industrie und literarischer Bezüge, ist ebenso Polemik, Essay, Bildungsroman wie Schelmenstück, Poesie, ein Text über Liebesversuche und Emanzipationswirren.

Erzählt wird von vergiftetem Alltag, von schmerzhaftem Erwachsenwerden, von Gelingen und Scheitern unter den Bedingungen des Zerfalls maroder gesellschaftlicher Verhältnisse. Das Ruhrgebiet (1952 bis 2022) bildet den Hintergrund für alles Erzählte, wobei insbesondere Duisburg einen Großteil des Handelns und Behandeltwerdens prägt, aber keinesfalls bloß Kulisse ist, sondern eher eine weitere Haut der Protagonisten. —————————————————————————————————— Kapitel 3: Blicke zurück

2022, im verfluchten Jahr Drei des … Weiterlesen

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Rückzug in die Vorhölle – Heinz Strunks Roman „Ein Sommer in Niendorf“

Vom Leben enttäuschter Mann, gestandener Jurist in seinen Fünfzigern, zieht sich für einige Zeit nach Niendorf/Ostsee zurück, um nach Bandaufzeichnungen eine Abrechnung mit seiner Familiengeschichte aufzuschreiben. Ist solch ein Plot, oftmals gehabt, nicht gewöhnlich und langweilig? Halt! Nicht, wenn sich einer wie Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“, „Der goldene Handschuh“) der Sache annimmt.

Vor allem die (zahlreichen) Passagen, in denen Strunk sozusagen kanisterweise Unmut abfüllt und ausgießt, haben es mal wieder in sich. Just aus der kapitalen Ödnis des überwiegend von urlaubenden Senioren bevölkerten Ortes lassen sich herrlich ergiebige Szenen destillieren. Wenn man es kann…

So zieht der misanthropische Ich-Erzähler Roth vor allem mit Tiraden gegen das schmierig-saufsüchtige Faktotum namens Breda vom Leder, dessen Zugriff er sich freilich nicht … Weiterlesen

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Bayreuther Festspiele beginnen mit „Tristan“ – Ein Gespräch mit dem Regisseur Roland Schwab

Vielleicht ist es genau das richtige Stück zur rechten Zeit am rechten Ort: Vor dem Hintergrund des barbarischen Krieges mitten in Europa und im von unappetitlichen Übergriffen und Skandälchen gebeutelten Bayreuth geht heute Abend, am 25. Juli, Richard Wagners „Tristan und Isolde“ über die Bühne.

Regisseur Roland Schwab. Foto: Matthias Jung

Für Regisseur Roland Schwab ein Gegenentwurf zu den Düsternissen unserer Zeit, ein „Bekenntnis zur Schönheit“, zugleich eine Flucht ins Universum der Liebe, eine Welt der Poesie, des Rauschs und der Verzauberung.

Schwab hat am Aalto-Theater Essen drei herausragende Arbeiten geschaffen, zuletzt Giacomo Puccinis „Il Trittico“. Mit der Eröffnung der Festspiele 2022 durch seine Inszenierung von „Tristan und Isolde“ erfüllt sich für den 52jährigen ein Lebenstraum. Werner Häußner sprach … Weiterlesen

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Mit Leib und Seele der Oper verschrieben: Früherer Aalto-Intendant Stefan Soltesz gestorben

Stefan Soltesz in seiner Essener Zeit. (Foto: Matthias Jung)

Gestern spät abends drangen die ersten Kurzmeldungen durch die sozialen Netzwerke: Stefan Soltesz ist tot. Der frühere Essener Intendant und Generalmusikdirektor brach während seines Dirigats von Richard Strauss‘ „Die schweigsame Frau“ an der Bayerischen Staatsoper München zusammen und verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus. Er wurde 73 Jahre alt.

Ein Augenzeuge berichtet: Gegen Ende des ersten Akts, gerade als die turbulente Probe der Operntruppe im Hause von Sir Morosus in vollem Gange ist und der alte Kapitän mit dem Speerschaft Wotans auf den Boden geklopft hat, ist ein dumpfer Knall zu hören. Einen Augenblick später „entsteht großer Trubel: einige Leute stehen auf, gestikulieren, schreien wild. Wir schauen vergnügt weiter, denn es … Weiterlesen

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Ein fairer Sportsmann durch und durch – zum Tod von Uwe Seeler

Uwe Seeler am 23. Mai 1968 im Endspiel des Europacups der Pokalsieger: AC Mailand – Hamburger SV 2:0. (Wikimedia / Public Domain. Ron Kroon / Anefo, Nationaal Archief – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en)

Für Menschen meiner Alterskohorte gibt es ein paar wenige Gestalten, die eigentlich „immer da waren“ und ohne die man sich das Dasein auf diesem Erdkreis gar nicht vorstellen mag. Bob Dylan und Paul McCartney gehören beispielsweise für viele von uns dazu. Oder auch die Queen. Und auf wiederum anderem Felde: Uwe Seeler. Umso trauriger ist diese Nachricht: „Uns Uwe“ ist heute mit 85 Jahren gestorben.

Der Mann hat seinem Hamburger SV immer und immer die Treue gehalten – geradezu ein Ausbund an Verlässlichkeit, noch so fern von … Weiterlesen

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Surreale Ästhetik des Untergangs: Perttu Saksas Fotografien vom Raubbau in Afrika

Perttu Saksa ist ein vielfach mit Preisen ausgezeichneter finnischer Foto- und Video-Künstler. In seiner Kunst interessiert er sich vor allem für das schwierige Verhältnis von Mensch und Natur, für die Belastungen der Umwelt durch menschliches Handeln. Seine nicht immer leicht zu entschlüsselnden Arbeiten werden weltweit in Galerien und Museen gezeigt. Jetzt präsentiert er ein Buch mit dem geheimnisvollen Titel „Dark Atlas“. Es enthält eine Auswahl von Fotografien, die bei seinen Reisen durch Afrika entstanden sind.

Im Fokus: Westafrika, vor allem in Nigeria und Togo, Regionen, die wir allzu schnell und mit kolonialem Unterton mit dem Klischee-Begriff „Schwarz-Afrika“ belegen. Der Titel „Dark Atlas“ spielt mit diesen Klischee-Vorstellungen, gibt aber auch einen Hinweis auf Thema und Ästhetik der Foto-Serie, die nichts mit … Weiterlesen

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Heillos verknäult, filigran entwirrt: Donna Leons 31. Brunetti-Fall „Milde Gaben“

Langsam erwacht Venedig aus dem Tiefschlaf der Pandemie. Die Masken fallen, die Touristen strömen in die Lagunenstadt. In den Bars gönnt man sich einen Blick in die Zeitung, einen Espresso und ein süßes Teilchen, bevor es ins Büro geht. Auch einige Läden, die den Lockdown überstanden haben, öffnen ihre Pforten.

Doch während viele Gewerbetreibende aufgeben mussten, haben andere mit miesen Tricks große Profite gemacht, Scheingeschäfte eröffnet, um Corona-Hilfen abzugreifen. Im „Gazzettino“ kann Commissario Brunetti die ekligen Details über die Folgen der Pandemie nachlesen. Er hat genug Zeit zur Lektüre. Denn Mord und und Diebstahl haben auf das Virus reagiert und gehen gegen Null. Dass sich das schon bald ändern und sein kriminalistischer Spürsinn gefragt sein wird, ahnt Brunetti. Doch bis … Weiterlesen

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Musik mit Testosteron: William Waltons Erste Symphonie in Essen

Die Essener Philharmoniker verabschiedeten sich bei ihrem 12. Sinfoniekonzert mit einem ungewöhnlichen Programm in die Ferien. Man merkte es am Besuch: Der Alfried Krupp Saal war nur schütter besetzt. Der konservative Teil des Essener Publikums lässt sich mit William Waltons Erster Symphonie nicht locken.

Solist Lutz Koppetsch. Foto: Alex Chepa

Und auch der Zaunpfahl Philip Glass konnte es nicht herbeiwinken. Dessen Violinkonzert in einer Bearbeitung für Sopransaxofon – von wem, verrät das Programm nicht – steht im Zentrum des Abends. Lutz Koppetsch, Leiter der Saxofonklasse an der Würzburger Musikhochschule, müht sich als berufener Solist redlich um die repetierten, sich allmählich entwickelnden Floskeln des Glass-Konzerts.

Aber was auf der Violine dank nuancierter Strich- und Griffarbeit lebendig klingt, bleibt auf dem Saxofon … Weiterlesen

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Zwischen Yellow Press und Wahlplakat: Wie sich Hendrik Wüst in Szene setzt

Von etwas anderer Art als die im Beitrag erwähnten Fotos: Pressebild des jung-dynamischen Hendrik Wüst, heruntergeladen von der Seite cdu-nrw.de

Nein, ich will nicht behaupten oder auch nur argwöhnen, dass der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst mit seiner nagelneuen schwarz-grünen Koalition schlechte Politik machen wird. Das wird man einfach abwarten müssen. Doch eins geht mir schon jetzt, ganz zu Beginn seiner Amtszeit, gehörig auf den Geist: seine (Selbst)-Inszenierung.

Wir erinnern uns daran, wie er sich in den letzten Wochen und Monaten hat öffentlich darstellen lassen. Entweder ähneln seine medialen Auftritte den Illustrations-Mustern der Yellow Press – oder es sind Bilder wie auf Wahlplakaten. Gar oft ist Wüst umfangen von lauter saftig-frischem Frühjahrsgrün. Gar herzig lachen er und seine Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne) … Weiterlesen

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Die Landkarte der Liebe neu vermessen – Nicole Krauss‘ Storys „Ein Mann sein“

Es ist Sommer. Ein Mann liegt träge am Strand, beobachtet seine spielenden Kinder und seinen alten Vater. Während die Hitze ihn schläfrig macht, lässt er sein Leben Revue passieren, denkt er an das unmerkliche Älterwerden, all die kleinen Veränderungen, die sich ständig ereignen, an das Leben, „das sich immer auf so vielen Ebenen abspielt, alles zur gleichen Zeit.“

Die Gedanken zerfließen, zerrinnen, sind nicht greifbar. Vielleicht ahnt er, dass gerade jetzt, während er mit seinen Kindern Ferien am Meer macht, seine Frau ihren Liebhaber in Berlin trifft und dabei nicht nur beglückende, sondern auch zutiefst beklemmende Erfahrungen macht.

Ein scharfer Cut. Die Perspektive wechselt, wir hören die freimütigen Bekenntnisse der Frau. Lauschen ihren Worten, mit denen sie den hemmungslosen Sex … Weiterlesen

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Zwischen Seelentrost und Menschheitsdämmerung – sechs Bücher über beinahe alles

Hier ein Schwung neuerer Bücher, in aller Kürze vorgestellt. Es muss ja nicht immer ein „Riemen“ (sprich: eine ausufernde Rezension) sein. Auf geht’s:

Lebensgeschichten am Sorgentelefon

Mit dieser Idee lassen sich allerlei Themen und Charaktere recht elegant unter ein Roman-Dach bringen: Judith Kuckarts Roman „Café der Unsichtbaren“ (Dumont, 206 Seiten, 23 Euro) spielt in der Ausbildungsgruppe für ein Sorgentelefon. Da lernen wir beispielsweise eine Theologie-Studentin und eine Sammlerin von Gegenständen aus der DDR kennen, aber auch einen Mann vom Bau, eine Buchhalterin, einen Radioredakteur im Ruhestand – und eine 80-jährige, die als Ich-Erzählerin fungiert. Nicht ganz zu vergessen die Anruferinnen und Anrufer, die sich ans Sorgentelefon wenden. Mit anderen Worten: Der Roman versammelt etliche Biografien, Wirklichkeiten und Perspektiven, sorgsam arrangiert … Weiterlesen

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Familienfreuden XXVIII: Adieu, Grundschule!

Ein Hoch auf die Grundschule! (Bild: Albach)

Morgen ist es vorbei, vier Jahre Grundschule – ade. Eine kleine Ära im Leben von Fi endet.

Ich frage mich jetzt schon, wie viele Packungen Taschentücher ich mitnehmen soll. Und ob ich am besten eine Sonnenbrille aufsetze, damit es nicht ganz so offensichtlich ist, dass ich Rotz und Wasser heule. Fis Grundschule ist nämlich in Sachen Abschied das, was Steven Spielberg für das Kino ist: ein Meister der Inszenierung. Als die Grundschule startete, sind die Erstklässler:innen durch bunte Blumenbögen in das Schulgebäude eingezogen. Morgen – man ahnt es – ziehen sie durch eben jene Bögen wieder aus. Der Kreis schließt sich, die Symbolik passt. Pech, wenn man da nah am Wasser gebaut ist.… Weiterlesen

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Alles bergen, was nicht vergessen werden soll: „Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern“

Als Marcus Antonius in Ägypten ankam, war Rom zwar das Zentrum des größten Reiches im Mittelmeerraum. Aber eigentlich war es nur ein Labyrinth aus schlammigen Gassen. In Alexandria gab es hingegen Paläste, Tempel, Denkmäler – und eine Bibliothek, in der das Wissen der Welt gespeichert und dem Vergessen entrissen wurde.

Marcus Antonius, vom Wunsch beseelt, seiner Geliebten Kleopatra, die Sinnlichkeit und Kultur auf einzigartige Weise verkörperte, ein besonderes Geschenk zu machen, entschied sich für etwas, was die ägyptische Herrscherin nicht mit gelangweilter Mine zur Kenntnis nehmen konnte: Er ließ ihr 200.000 Bände für die Bibliothek zu Füßen legen, denn: „In Alexandria waren Bücher Treibstoff für Leidenschaften.“

Auch das Internet ist eine Bibliothek

Die spanische Autorin Irene Vallejo kennt viele solcher … Weiterlesen

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Zerbrechliche Kunst: „Fragile. Alles aus Glas!“ in Ahlen

Turm aus gläsernen Gefäßen, davor auf dem Boden der Schriftzug „Bitte Abstand halten“: Tony Cragg „Eroded Landscape“ (1998), Glas, sandgestrahlt, 252 x 150 x 150 cm. (Foto: Bernd Berke)

Beim Presserundgang wiederholt sich ein Thema hartnäckig: Ausgesprochen ängstlich sei man beim Aufbau dieser Ausstellung gewesen. Stets hätte ja etwas zu Bruch gehen können. So heißt denn auch die neue Schau im Kunstmuseum Ahlen: „Fragile“ (wahlweise englisch, französisch oder italienisch auszusprechen). Und weiter: „Alles aus Glas!“ Verständlich, dass das Publikum um besondere Vorsicht gebeten wird. Elefanten haben keinen Zutritt.

Rund 100 Arbeiten von 60 Künstlerinnen und Künstlern werden gezeigt, samt und sonders aus dem vielfältig wandelbaren Werkstoff Glas. Bereits in der Antike produziert, setzte sich (abgesehen von Kirchenfenstern) Glas als Ausdrucksmittel … Weiterlesen

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Ein gelungener Pass ist wie ein gelungener Satz – Was Fußball und Literatur verbindet

Was lösen Fußball und Literatur gleichermaßen aus? Vielleicht Emotionen? Das natürlich auch. In erster Linie aber haben beide das Spielerische gemeinsam, sodass eine gelungene Pass-Stafette einer dito Satzreihe ähneln kann. Das meint jedenfalls der Schriftsteller Ariel Magnus. Zu finden sind derlei Mutmaßungen in einem schmalen Buch, das auf einem Gespräch im Deutschen Fußballmuseum zu Dortmund basiert.

Im Dialog: Manuel Neukirchner, Direktor des Museums, und Ariel Magnus, argentinisch-deutscher Schriftsteller mit spezieller Fußball-Leidenschaft, der 2021 als „Metropolenschreiber Ruhr“ – leider zu Zeiten des Lockdowns – ins Revier kam und das Dortmunder Institut nicht auslassen mochte. Etwas Derartiges, so Magnus, gebe es im fußballverrückten Argentinien nicht. Im Ruhrgebiet hat er sich nicht zuletzt mit der Rivalität zwischen BVB und Schalke befasst. … Weiterlesen

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Predigt und Pathos – Amanda Gormans Gedichtband „Was wir mit uns tragen“

„Dieses Buch ist eine Flaschenpost“, schreibt Amanda Gorman im Gedicht  „Schiffsmanifest“, das ihren ersten großen Lyrikband einleitet, und fährt dann fort: „Dieses Buch ist ein Brief. / Dies Buch lässt nicht locker. / Dieses Buch ist wachsam. / Dieses Buch weckt auf.“

Dieses Buch, möchte man vorsichtig einwenden gegen das Übermaß an poetisch-politischem Pathos, ist vieles, aber vor allem eines: ein großes lyrisches Missverständnis. Denn „Was wir mit uns tragen“ legt Zeugnis ab von der literarischen Überforderung einer jungen Dichterin, die mit einem einzigen Auftritt die ganze (westliche) politische Welt verzauberte und zur Ikone des Aufbruchs in eine neue Zeit wurde: Als sie am 20. Januar 2021 zur Amtseinführung von Joe Biden die traurige und zugleich stolze Geschichte ihres von … Weiterlesen

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„Alles geben“: Der Fußballer Neven Subotić und seine Abkehr vom rauschhaften Luxusleben

Ganz ehrlich: Dies Buch gehört eigentlich nicht zu der Sorte, die ich getreulich Seite für Seite und Zeile für Zeile durchackern würde. Querlesen tut’s auch. Doch dabei zeigt sich, dass der Fußballer Neven Subotić (unterstützt von der Journalistin Sonja Hartwig) zumindest die Stoffsammlung für eine Art „Entwicklungsroman“ vorgelegt hat, der allerdings keine Fiktion ist, sondern mitten im (un)wirklichen Leben spielt und vielsagend „Alles geben“ heißt.

Neven Subotić, geboren 1988 in Banja Luka (heute Bosnien und Herzegowina) und von Haus aus serbischer Staatsbürger, kommt im Vorfeld des Jugoslawien-Kriegs mit seinen Eltern nach Süddeutschland. Der extrem arbeitsame (und fußballerisch ehrgeizige) Vater schuftet in etlichen Jobs, um die Migranten-Familie über Wasser zu halten.

„Ich bin ein Arbeiter. So wie meine Eltern.“

Als … Weiterlesen

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„Wie eine Straßenköter-Mischung“ – Jugendstil und Artverwandtes im Dortmunder Kaiserviertel

Detail einer Jugendstil-Fassade in der Dortmunder Kaiserstraße. (Foto: Bernd Berke)

Nein, ein typischer Ort des Jugendstils sei Dortmund nicht, sagt Stadtführer Wolfgang Kienast gleich zu Beginn: „Wir sind hier nicht in Darmstadt und haben keine Mathildenhöhe.“ Auch das benachbarte Hagen habe in hochkarätiger Hinsicht mehr zu bieten, Stichwort Hohenhof. Doch immerhin befassen sich vier verschiedene Dortmunder „Stadtspaziergänge“ mit dem Jugendstil und artverwandten Richtungen. Nanu?

Die lehrreichen Rundgänge führen durch Hörde (erst seit 1928 zu Dortmund gehörend), ins Kreuzviertel, ins Kaiserviertel – und in die wegen sozialer Verwerfungen oftmals verrufene Nordstadt. Staunenswert genug: Just dort gibt es das größte zusammenhängende Jugendstilviertel von ganz Nordrhein-Westfalen. Wolfgang Kienast nennt auch einen Grund: Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Abrisswut grassierte und die ach … Weiterlesen

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