Archiv des Autors: Bernd Berke

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.

Entwurzelter Riese

Einen Elefanten von Lissabon nach Wien bringen? Mit etlichen Mühen und ausgeklügelter Logistik kann es gelingen. Wie aber hat man das im 16. Jahrhundert angestellt, als noch kaum ein Europäer je einen Elefanten zu Gesicht bekommen hatte?

Anno 1551 vollzieht sich ein solcher Haupt- und Staatsakt mit Hintergedanken: Der König von Portugal (Johann III.) schenkt dem Herrscher von Spanien just den Dickhäuter Salomon (später Soliman genannt). Insgeheim will der König mit dieser Zeremonie einen lästig gewordenen, zudem höchst gefräßigen Kostgänger loswerden und ihn dem weitläufigen Verwandten Maximilian (seinerzeit Statthalter in Spanien für Kaiser Karl V.) aufhalsen – mitsamt dem Elefantenführer, dem indischen Mahut namens Subhro. Der ist der einzige, der mit dem exotischen Tier artgerecht umgehen kann. Diese Fähigkeit nutzt … Weiterlesen

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Paul Auster: Aufregend ungewiss

Schon die Umschlaggestaltung des Buches deutet auf vergangene Zeiten hin. Doch die können bekanntlich weiter wirken. Paul Austers neuer Roman „Unsichtbar“ führt zurück bis 1967. Da ist der hochbegabte Schönling Adam Walker gerade mal 20 Jahre alt, studiert an der Columbia University in New York und träumt von einer Laufbahn als Schriftsteller.

Auf einer Party spricht ihn ein mephistophelischer Typ an. Der sonst in Paris lebende, 36-jährige Rudolf Born ist Gastprofessor für Politik und bietet Walker einen geradezu faustischen Pakt an, bei dem vielleicht die Seele auf dem Spiel steht: 25000 Dollar für eine Literaturzeitschrift, die Walker weitgehend nach Gusto gestalten darf. Einfach so. Weil Born erklecklich geerbt hat und der Novize ihm gefällt. Oder treibt er etwa nur ein … Weiterlesen

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„Still-Leben“ auf der A 40: Utopie, Leute!

Man sage, was man will – übers „Still-Leben“ auf der A 40, an dem heute einige Hunderttausend Revierbewohner und ihre Gäste teilgenommen haben. Angeblich sollen es sogar fast 3 Millionen gewesen sein. Doch die genaue Zahl ist fast egal. Weitaus wichtiger ist dies: Es hatte durchaus mehr als nur einen Hauch von Utopie.

Das gesamte Spektrum der Bevölkerung war dabei, wenn auch vielleicht nicht im exakten demographischen Mischungsverhältnis, so doch in ganzer Tiefe und Breite.

Wie all diese Menschen für einen halben Tag den Straßenraum eingenommen haben, der sonst dem dröhnenden (oder gestauten) Motorverkehr vorbehalten ist! Und wie friedlich dies alles war! Wie viele Formen des Schöpferischen da zum Tragen kamen! Wie viele Leute da gesungen, gesummt, gelacht oder stillvergnügt … Weiterlesen

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Theater fressen Texte auf – eine Polemik

Besser wär’s vielleicht, man ließe die Finger vom Thema. Denn hierbei gerät man ganz leicht in die Nähe der rituell ratternden Empörungs- und Skandalisierungs-Mechanismen der Boulevardpresse. Aber sei’s drum:

Beruflich bedingt, bin ich früher öfter ins Theater gegangen, meist in NRW, gelegentlich darüber hinaus. Jetzt muss ich dieser Pflicht nicht mehr nachkommen, sondern darf aus freien Stücken wählen. Und was soll ich sagen? Ich gehe kaum noch hin. Mir fehlt wenig. Ich vermisse das landesübliche Treiben auf den Bühnen nicht allzu sehr. Nur selten stellt sich ein kleiner Phantomschmerz des Verlustes ein. Alle anderen Kultursparten liegen mir inzwischen näher, fürchte ich.

Warum ist das wohl so?

Ich zitiere: „…was ich am langweiligsten finde: dass sich die jungen Regisseure heute so … Weiterlesen

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„Was du nicht kennst, das schieß nicht tot!“

Durch Zufall ist mir die Juli-Ausgabe des Verbandsorgans „Rheinisch-Westfälischer Jäger“ in die Hände geraten. Welch unverhoffte Chance zum Einblick in eine unbekannte Lebenswelt! Sonst sieht man die lodengrünen Herrschaften höchstens mal auf Halbdistanz, wenn die Meute zur Dortmunder Messe „Jagd und Hund“ schnürt. Was also bewegt denn wohl die organisierten Jäger im Lande?

Zunächst einmal Jagdpolitik: Man zeigt sich betrübt übers Amtsende des bisherigen NRW-Landwirtschafts- und Umweltministers Eckhart Uhlenberg (CDU). Kein Wunder: Verbandspräsident der NRW-Jäger ist der einstige Bundes-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (ebenfalls CDU). Unter den beiden Parteifreunden hat bestimmt bestes Einvernehmen über waidmännische Belange geherrscht, zumal Uhlenberg selbst passionierter Jäger ist. So dürften sie sich z. B. rasch und geräuschlos über die schrittweise Abschaffung der Jagdsteuer geeinigt haben (jährlicher Einnahmeverlust … Weiterlesen

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Ins Getriebe der Wirtschaft blicken

Rot – Gelb – Blau. Rot – Gelb – Blau.

Der Künstler Andreas Siekmann hat immer und immer wieder dieselben Farben genommen. Auf jedem Blatt. Seine Bilder bringen wirtschaftliches Geschehen auf den Punkt. Vorsichtiger gesagt: Sie stellen in immer neuen Versuchsanordnungen die Frage, wie man dies sinnvoll bewerkstelligen kann. Sie ranken sich um ein Zeichensystem der Piktogramme und reihen sich wie Argumentations-Ketten, oft mit frappierender Folgerichtigkeit, zuweilen mit spielerischen Ausläufern. 223 Blätter sind auf exakt vermessenen und installierten Tischen zu sehen. Hie und da kreuzen sich ihre Fluchtlinien, als wären es die Gelenkstellen der gesellschaftlichen Debatte.

Siekmann zeigt seinen zeichnerischen Zyklus „Aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ (1996-1999), der in anderer Form bereits auf der documenta (2002) präsentiert wurde. Jetzt ist … Weiterlesen

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Ernst Barlach: Ruhige und unruhige Form

Bei jüngeren Kunstbetrachtern dürfte Ernst Barlach (1870-1938) als ausgesprochen vorgestrig und „uncool“ gelten. All diese hageren, ärmlichen, gebeugten Gestalten. Dazu asketische Apostel und Künder. Dieses pathetische, inständige Ringen ums Ganze der Existenz. Skulpturen mit Titeln wie „Geistkämpfer“. Das geht doch wohl nicht mehr…

Was aber, wenn uns jetzt – nach allen Ironien und sonstigen Kapriolen – ein neues Pathos oder wenigstens eine neue Gradheit anstünden? Und wenn wir nun Ausschau halten sollten nach historisch beglaubigten Arten, Not und Armut darzustellen? Dann kämen wir vielleicht um Barlach oder Kollwitz immer noch nicht herum.

Im Cappenberger Schloss kann man sich jetzt einen reichhaltigen Überblick zum bildnerischen Werk von Barlach verschaffen – anhand von rund 60 Skulpturen sowie 250 Druckgraphik-Blättern und Zeichnungen. Der … Weiterlesen

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„Tatort“: Auf dem Seziertisch

Abgesehen von den eigentlichen Kriminalfällen, sind die „Tatort“-Folgen der ARD wenigstens in einem Punkt drastischer geworden: Immer deutlicher hat man uns in den letzten Jahren übel zugerichtete Leichen en detail gezeigt, wie man es vordem nicht gewagt hätte.

Ältere Folgen der Reihe fallen nicht nur durch betuliche (oder behutsame) Dialoge und langsame (oder sorgsame) Schnitte auf, sondern auch durch eine gewisse Diskretion. Wenn es gar zu brutal wurde, hat „die Kamera“ meist gnädig weggeschaut. Die Zuschauer haben trotzdem gewusst, worum es ging.

Anders heute. Bekanntlich beginnt ein „Tatort“ meist gleich mit dem (ersten) Mord. Sehr zeitig und zügig kommen somit die professionellen Leichenfledderer vom Pathologischen Institut ins Spiel. Hie und da sind sogar tragende Rollen daraus geworden. Man denke vor … Weiterlesen

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Ein Mann zerstört sich selbst

Der erste Satz des Romans lautet so: „Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen.“ Das ist noch weit untertrieben.

Hier nimmt von Anfang an ein Verhängnis seinen Lauf, offenbar unaufhaltsam. John Wilder (36), Ehemann jener Janice, leidet an verschärftem Normalitäts-Koller, an Alltags-Überdruss. Der bislang recht erfolgreiche Anzeigenverkäufer (in Diensten des Edelblatts „Scientific American“) besäuft sich mal wieder und randaliert unflätig gegen Freund und Feind. Nicht ganz ohne eigene Vorahnung. Er hat „es“ kommen sehen und Frau und Sohn am Telefon gewarnt: Er werde von seiner Dienstreise lieber nicht heimkehren, sonst wäre er wohl imstande zu familiärem Mord und Totschlag. Fortan zerstört er sich selbst.

Fatal: Wegen eines Feiertags kommt Wilder nach dem Nervenzusammenbruch nicht in eine übliche Klinik, … Weiterlesen

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Rauschen der Ferne

Man muss schon ein paar Jährchen verbracht haben, um es noch zu kennen – das Rauschen der weiten Entfernungen, die man mit einem herkömmlichen Weltempfänger-Radio mehr schlecht als recht überbrückte. Wie man gefiebert hat, ob heute wohl Korea oder Mexiko „hereinzukriegen“ wären…

Fürs heutige Empfinden hat das alles erbärmlich geklungen. Selbst mit den besten Empfangsgeräten war vieles Glückssache. Wie stolz war man, wenn man zwischen dem Grundrauschen und ebenso kurzwellentypischen Kratz- oder Fieptönen ein paar schüttere Sätze aus Südamerika zu hören bekam. Enthusiasten ließen sich dann eigens Bestätigungskarten als Trophäen von Stationen aus aller Welt schicken. Man befasste sich ernsthaft mit Phänomenen wie Sonnenflecken, die großen Einfluss auf die Qualität des Fernempfangs haben. Fachzeitschriften ohne jegliche Hochglanz-Attitüde verkündeten tabellarisch die … Weiterlesen

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Mythos Minox: Nicht nur für Spione

Wer weiß noch, was eine Minox ist? Selbst in manchen Fotofachgeschäften kann man nicht mehr sicher sein, dass dort einschlägige Kenntnisse über den einstigen Mythos der Kleinstbildfotografie (Negativformat 8 x 11 Millimeter) vorhanden sind. Ein Jammer.

Etwas ältere Leute, sofern nicht allseits desinteressiert, erinnern sich wahrscheinlich: Das waren doch diese Mini-Kameras, mit denen damals so viele Spione ihre illegalen Aufnahmen gemacht haben. Das ist zwar zu kurz gegriffen, aber sicherlich richtig. Die Liste prominenter Minoxianer früherer Tage ist jedenfalls lang, sie reicht von Queen Elizabeth bis Heinz Erhardt und Götz George.

Ausführlich erfährt man die Einzelheiten jetzt (etwas abseits von den üblichen Kulturpfaden) im Stadtmuseum zu Iserlohn. Dort breitet der Hagener Sammler Reinhard Lörtz noch bis zum 19. April seine … Weiterlesen

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Chatroulette: Menschen wegklicken

Immer wieder neue Hypes im Netz. Und welche Sau wird jetzt gerade durchs globale Dorf getrieben? Nun, ein angeblich ganz dickes Ding dieser Tage und Wochen sind „Chatroulette“-Angebote, bei denen Bilder, Töne und Texte in Echtzeit ausgetauscht werden. Es soll Leute geben, die süchtig danach sind. ABC News zitiert eine US-Studentin: „I think it’s a little creepy. And I can’t stand away.“ Ein bisschen gruselig und dennoch unwiderstehlich also?

Seiten dieses Zuschnitts sind an der Benutzer-Oberfläche sehr simpel und locken mit ausgesprochen laxen Bedingungen: völlig anonyme Teilnahme am weltweiten Video-Chat, keine Passwörter, Alterskontrollen, besondere Pflichten, Spielregeln oder sonstige Barrieren. Kein Wunder, dass sich angesichts solcher Vorgaben auch ungemein viele arme Würstchen (wahlweise „arme Teufel“), Spinner und Idioten mehr oder weniger … Weiterlesen

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Was bleibt von der Kunst der 80er Jahre?

„Neue Wilde“, „Junge Wilde“, „Heftige Malerei“ – an Etikettierungen für die Kunst der (frühen) 80er Jahre mangelt es nicht. Nach all dem prinzipiellen Misstrauen gegen Bilder, das die Szene schließlich geradezu gelähmt hatte, brach um 1979/80 eine offenbar lang angestaute Flut hervor. Schon bald gab es machtvolle Manifestationen wie die Großausstellungen „Westkunst“ in den Kölner Messehallen (1981), „Zeitgeist“ im Berliner Gropius-Bau (1982) und die von Rudi Fuchs geleitete documenta (ebenfalls 1982).

Unter dem verkaufsfördernden Motto „Es wird wieder gemalt“ nahm auch der Handel Aufschwung. Positiv gewendet: Die Kunst war also offenbar doch noch nicht tot. Ebenso wenig wie die vordem totgesagte Literatur. Mag immerhin sein, dass man sich für diese neuen Aufbrüche auch naiv (oder gar dumm?) stellen musste, damit … Weiterlesen

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Philip Roth „Die Demütigung“ – Macht des Schicksals

Plötzlich ist der Schauspieler Simon Axler erloschen. Einfach aus und vorbei. Er kann nicht mehr spielen. Weder „Macbeth“ noch sonst etwas. In Film und Theater hat der bisher so begnadete Koloss das Publikum verzaubert. Jetzt macht er sich auf der Bühne nur noch lächerlich, verfällt in Depression, hegt Selbstmordgedanken, begibt sich mit letzter Anstrengung in eine Psychoklinik.

Die Insassen der Anstalt reden derart überbietend vom Freitod, als sei’s ein Sport. Und dort klammert sich zerbrechliche, zerbrochene Sybil an ihn. Sie hat ihren mächtig reichen Mann beim Inzest mit der 8-jährigen Tochter überrascht und ist seither vollkommen aus Zeit und Sinn gefallen. Flehentlich bittet sie Axler, ihren Mann für sie umzubringen. Das lehnt er ab, eher aus Kraftlosigkeit denn aus Überzeugung.… Weiterlesen

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Martin Walsers Tagebücher 1974-1978: Wachsende Verbitterung

Also schreibt Martin Walser: „Ich schlug Günter vor, in ein Pornokino am Ku’damm zu gehen. Günter wollte nicht. Ich habe Phantasie, ich geh doch in keinen Porno.“

Richtig geraten. Jener Günter ist Günter Grass. Nach einem langen Diskussionstag in der Berliner Akademie der Künste mochte er sich offenbar nicht „unter Niveau“ entspannen. Oder war es die unverhoffte Gelegenheit, dem Marktkonkurrenten Walser „Phantasielosigkeit“ zu unterstellen? Egal.

Die läppische Episode begab sich im Mai 1976 und ist in Martin Walsers Tagebüchern verzeichnet. Er hätte die Passage, in der Grass vermeintlich „besser wegkommt“ als er selbst, gewiss nicht in den neuen Band aufnehmen müssen. Doch er hat es getan. Auch sonst ging er in den jetzt erschienenen Tagebüchern der Jahre 1974-1978 nicht gerade … Weiterlesen

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Wohltuend wortkarg

Nur selten ist Pathos mit allerlei verbalen Girlanden und Tremolo angebracht. Häufiger Gebrauch bedeutet allemal Entwertung, wenn nicht gar hohl tönendes Geschwätz.

Wenn etwas in wenigen, knapp gesetzten Worten aufblitzt, so ist das meist wirksamer. Dies macht auch den Reiz gelungener Werbeslogans aus.

Ein schönes Beispiel für lakonischen Witz ist die Äußerung des legendären Langstreckenläufers Emil Zatopek, der sein Metier so trennscharf umrissen hat:

„Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.“

Mehr muss man nicht sagen.

Noch ein Ausspruch dieser erhellend knappen Sorte, der aus einem Interview mit Marlene Dietrich stammt. Ihre drei Worte taugen als Lebensmotto:

„Hingehen, machen, weggehen.“

Mehr muss man nicht sagen. Mehr muss man nicht tun.… Weiterlesen

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Wer sich an Dekadenz berauscht

Der Schriftsteller Gerhard Henschel, der sonst schon mal ausgiebig in persönlich gefärbten Erinnerungen schwelgt („Kindheitsroman“, „Jugendroman“), hat sich diesmal auf anderes Terrain begeben. Dabei geht er abermals aufs Ganze: Sein neues opus magnum heißt „Menetekel“, ist so fußnotenreich wie eine veritable Doktorarbeit und verhandelt laut Untertitel nicht weniger als „3000 Jahre Untergang des Abendlandes“.

Mit Hunderten und Aberhunderten von markanten bis monströsen Zitatstellen führt der fleißige Sammler Henschel vor, dass es in allen, aber auch wirklich allen Epochen Kulturpessimisten und Apokalyptiker der finsteren Sorte gegeben hat. Mit sozusagen erektil anschwellender Phantasie, die selten von eigener Erfahrung gesättigt war (erst recht nicht von lustvoller), malten sie den bevorstehenden Untergang in grellsten Farben aus; vorzugsweise, indem sie den angeblichen Verfall der sexuellen … Weiterlesen

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Guido und das Grubenpferd quälen das Ruhrgebiet

Es wird mal wieder höchste Zeit für eine kleine kulturhauptstädtische Nestbeschmutzung. Diesmal geht’s um die manchmal unscheinbaren, beim ersten Hinhören halbwegs harmlos klingenden, doch im Grunde reichlich bescheuerten Ausgeburten der Sprach- und Lifestyle-Designer.

Gut möglich, dass häufig auswärtige Agenturen oder sonstige „Kreative“ zum Zuge kommen, die unser Leben im Revier noch cooler ausschildern sollen – sicherlich stets im Vollgefühl vermeintlich avancierter Zeitgeistigkeit. Oder wissen sie etwa zynisch genau, dass sie uns nur die Brosamen ihrer Brainstormings hinstreuen?

Nicht nur in dieser Hinsicht ist der idr-Pressedienst des RVR (Regionalverband Ruhr) eine verlässliche Fundgrube. Die getreulichen Essener Chronisten verzeichnen allwochentäglich aktuelle „facts und events“ aus der Möchtegern-Ruhrstadt. Zuweilen sind es bloße Peinlichkeiten, die allerdings nie als solche erscheinen dürfen. Da sei der … Weiterlesen

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Verdammt gemütlich – Klaus Modicks „Krumme Touren“

…und dann gibt es Autoren wie Klaus Modick, die zwar wohl kein weltliterarisches Format haben, die einem aber mit den Jahren sehr ans Herz gewachsen sind. Dieser Mann ist klug, er schreibt stilsicher, solide und verlässlich, dabei anregend genug. Er ist seiner (inwieweit begrenzten?) Mittel bewusst und handhabt sie spürbar freudig und souverän. Nichts Verquältes ist ihm eigen.

Der 1951 gebürtige Oldenburger, der seit einigen Jahren wieder in seiner Heimatstadt lebt, gibt sich zudem sympathisch unarrogant und bodenständig. Er ist mit provinziellen und familiären Alltagsdingen vertraut, aber längst nicht darauf beschränkt. Überdies schätze ich ihn als Generationsgenossen, als wäre er ein etwas älterer, hie und da vorbildlicher Bruder.

Warum diese umständliche Vorrede?

Weil ich von seinem neuen Buch gelinde enttäuscht … Weiterlesen

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Die Causa Helene Hegemann – Plagiat? Ach was! Oder doch?

Die Angelegenheit konnte schon frühzeitig Unbehagen wecken. Die wie verabredet wirkende Weise, in der die erst 17-jährige Helene Hegemann kurzerhand zur Autorin der Stunde (nein: des Jahrzehnts!) hochgejubelt wurde, hatte von Anfang an etwas haltlos Penetrantes.

Die überregionalen Feuilletons überboten einander mit äußerst umfangreichen Lobpreisungen für den mit Sex- und Drogenexzessen gesättigen Debütroman „Axolotl Roadkill“. Auch der sonst oft ätzend angriffslustige Maxim Biller stimmte als Rezensent in den Halleluja-Chor ein. Ein Effekt: Das Buch kletterte bis auf Platz fünf der Bestseller-Liste. All das spricht natürlich auch noch nicht g e g e n Hegemanns Buch.

Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass Helene Hegemann sich gleich absatzweise in Texten des Bloggers „Airen“ bedient hat. Der ist schon etwas älter als die … Weiterlesen

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Afrika und die Magie des Fußballs

Wohl kein anderer deutscher Journalist kennt sich mit Afrika u n d mit Fußball so gut aus wie Bartholomäus Grill, von 1993 bis 2006 und neuerdings wieder Afrika-Korrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“. Im Vorfeld der Fußball-WM 2010 in Südafrika ist jetzt sein Buch „Laduuuuuma!“ erschienen. Das Titelwort ist der immens lang gedehnte Torschrei am Kap der Guten Hoffnung – etwa vergleichbar dem exzessiven „Gooooooooool!“ in Brasilien.

Grill hat sein Buch jetzt in Dortmund vorgestellt, zünftig in der Stadion-Gaststätte „Strobels“. In diesem Dunstkreis fühlt sich der 1954 geborene Bayer (er stammt aus Oberaudorf wie z. B. die Herren Stoiber und Schweinsteiger) ein wenig zu Hause, ist doch Borussia Dortmund seit dem Europapokalsieg 1966 sein Lieblingsverein. Gutes Beispiel für Globalisierung: Auch in … Weiterlesen

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Schmuck mit Seele

Wie hat wohl die Urgeschichte der Skulptur begonnen, von welcher Art waren die frühesten Vor-Bilder? Prof. Christoph Brockhaus, Chef des Duisburger Lehmbruck-Museums, hat da eine plausibel klingende Vermutung: Amulette und magische Glücksbringer in Form von Schmuckstücken dürften von allem Anfang an gefertigt worden sein. Es birgt also seinen tieferen Sinn und Hintersinn, dass das auf Skulpturen spezialisierte Haus nun Schmuck zeigt, der von Bildhauern geschaffen wurde.

Brockhaus legt Wert auf trennscharfe Unterscheidung vom bloßen Schmuck-Design. Dabei stünden die gute (anzufügen wäre: meist eher gefällig geglättete) Form und handwerkliche Präzision im Vordergrund, während Künstler auch auf diesem Gebiet mit geistigem Anspruch antreten, zumeist auf Transzendenz aus sind und hierzu dem Material eine ureigene, möglichst unverwechselbare Handschrift aufprägen.

Manche dieser Prägemuster oder … Weiterlesen

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Botho Strauß‘ Notate „Vom Aufenthalt“

„Wo warst du in deinen Tagen? Hast du eine Höhle oder eine Säule bewohnt? Im Letztlicht oder Lechzlicht gestanden?“

Fürwahr ein hoher Ton, nah am Rande des Strapaziösen. Keine leichte Kostprobe aus dem neuen Buch von Botho Strauß, das aber ungleich vielstimmiger instrumentiert ist und auch das Alltägliche nicht beiseite lässt.

„Vom Aufenthalt“ heißt der Band. Er enthält Hunderte von Notaten, die (oft unwirsch, vielfach elegisch) von der als heillos diagnostizierten Gegenwart wegführen sollen und gerade deshalb treffsicher ins Zentrum heutiger Zeitwirrnis zielen. Strauß sucht ein Menschenbild für ungewisse Zukunft zu entwerfen, aus dem Vorhandenen zu erspüren. Diese Anstrengung kommt zwar gelegentlich hochmögend, doch kaum einmal tönend prophetisch daher, wie manche gewiss wieder argwöhnen werden. Sondern? Zuweilen leicht wie ein … Weiterlesen

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Neues unter der Sonne

Es gibt offenbar noch Neues unter der Sonne: In Wuppertal behaupteten die Museumsleute kürzlich, sie zeigten jetzt den allerersten deutschen Gesamtüberblick zum Werk des Impressionisten Claude Monet. Jetzt sagen die Kollegen in Bielefeld, es habe bislang noch keine vergleichbare Retrospektive zum deutschen Impressionismus gegeben. Ihre Ausstellung sei somit eine Art Premiere. Wer skeptisch ist, der beweise jeweils das Gegenteil.

Folgt man einer Bielefelder Ausgangs-These, so hat der deutsche Impressionismus mit den weltberühmten französischen Spielarten dieser Kunstrichtung nicht allzu viel gemein, sondern war ein eigener und eigensinniger Strang der Kunstgeschichte. Antriebe und Absichten waren demnach ebenso verschieden wie Stimmungswerte oder Farbpalette. Letztere haben nicht nur mit der (schwer greifbaren) „Mentalität“, sondern auch mit konkreten landschaftlichen Gegebenheiten zu tun. Deutscher Wald ist … Weiterlesen

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Damit noch Spuren bleiben

Wer ist eine „Kultfigur“ von Paderborn? Nein, jetzt mal nichts Katholisches. Eher so auf dem Felde der schönen Künste.

Museumsleiterin Andrea Wandschneider sagt mit Nachdruck, Willy Lucas habe allemal das Zeug dazu. Sie und Markus Runte (Museum für Stadtgeschichte) haben mit großem Fleiß dafür gesorgt, dass dieser Künstler nun gleich an drei Ausstellungsorten (siehe Anhang) der Stadt gewürdigt wird, und zwar nahezu für ein halbes Jahr. Zur Eröffnung erklang eine eigens komponierte musikalische Uraufführung, Torsten Brandes’ „Fünf Lieder zu Bildern von Willy Lucas“.

Anlass solcher Anstrengungen, die sicherlich auch dem Stadtmarketing aufhelfen sollen, ist der 125. Geburtstag des Malers, der am 20. Februar 1884 im nahen Bad Driburg zur Welt gekommen ist und den außerhalb zweier eng umgrenzter Regionen heute … Weiterlesen

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Ästhetik aus der Tüte

Was haben die Künstler Max Liebermann, Otto Modersohn, Fritz Overbeck und Max Slevogt gemeinsam?

Sie alle entwerfen um 1900 Reklame-Bilder für die Schokoladenfabrik Stollwerck. Der Impressionist Slevogt geniert sich allerdings ein wenig dafür und lässt seine Signatur in diesem Umfeld beiseite. Werbung gilt nicht als sonderlich fein. Kann man sich damit gar den künstlerischen Leumund ruinieren? Vorsicht, Vorsicht!

Im Herner Emschertal-Museum wird das Wort Kunst hingegen schon graphisch im Titelschriftzug betont. Die aus Berlin kommende Wanderschau heißt „ReklameKunst auf Sammelbildern um 1900“, auch die aufdringlichere Schreibweise „ReklameKUNST“ findet sich im Faltblatt. Wir haben es also mit einem Phänomen im weiten Grenzgelände zwischen Kultur und Kommerz zu tun. Die Ursprünge der Gattung liegen um 1870 in Paris. Die Drucktechnik (Farblithos) erreicht … Weiterlesen

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„Jugendroman“: Stoff des Lebens

Hat der Mann ein beneidenswertes Gedächtnis, oder hat er schon als Kind und Jugendlicher fleißig Tagebuch geführt und wertet dies nun ausgiebig aus?

Nach seinem „Kindheitsroman“ (2004) legt Gerhard Henschel jetzt ganz folgerichtig den „Jugendroman“ vor. Und wieder enthalten die Erinnerungen enorm viel Zeitkolorit. Ja, es ist, als würden jene früheren Jahre mitsamt den längst vergangenen Tagesnachrichten derart detailtreu herangezoomt, bis sie fast wieder „eins zu eins“ vor uns erstehen. So banal und wiederholungsträchtig manche Passagen im einzelnen klingen mögen (so ist der Alltag eben), auf Dauer ergibt sich ein Sog, dem man sich schwerlich entziehen kann.

Diesmal führt der Erzähler Martin Schlosser, der mit dem Autor innig verwandt, wenn nicht identisch ist, sich und uns zurück in die Jahre … Weiterlesen

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Wie geil is d a s denn, Alder?

Wie muss man es sich wohl erklären, dass auf einmal neue Redewendungen auftauchen, zeitweise grassieren und dann mehr oder weniger rasch vergehen, um auf ewig im Orkus der Wörter zu modern – oder um vielleicht eines Tages neu belebt zu werden?

Beileibe nicht alles, was im sprachlichen Organismus entsteht, ist schätzenswert. Manche Formulierung geht einem sehr schnell gründlich auf die Nerven und müsste Zahlungen in die Floskelkasse zur Folge haben. Das Gegenmittel „Ohren auf Durchzug“ hilft nicht immer.

Woher kommt es beispielsweise, dass man irgendwann nicht mehr „Alter“, sondern „Alder“ gesagt und geschrieben hat? Hat ein Film oder ein Musiktitel diese Ausdrucksweise geprägt? Oder irgendein flachsinniger Brachialkomiker im Fernsehen? Wer weiß Näheres?

Inzwischen meiern sich schon Siebenjährige so an: „Ey, … Weiterlesen

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Visionen von der Schattenseite

Neulich via DVD wieder auf Michelangelo Antonionis Kinoklassiker „Blow Up“ von 1966 gestoßen. Mal reinschauen, dachte ich mir. Mal sehen, was man davon noch weiß. Und was er einem heute noch gibt.

Frei heraus: Man kann ihn beinahe anschauen wie eine Neuerscheinung. Dieser staunenswerte Film hat immer noch und wohl für einige weitere Zeit Bestand. Haltbar bis 2100. Oder so ähnlich. Er ist visionär, klar- und weitsichtig, vollgesogen mit dem Zeitgeist von 1966, mit Essenzen jener Jahre – und doch wird das alles bereits mit distanziertem Blick geprüft. Nacht- und Schattenseiten von Swinging London und der damaligen Pop-Kultur funkeln geradezu gefährlich. Bleiche Gespenster mit erschreckend leeren Gesichtern sind da unterwegs. Und das Ende aller Harmlosigkeiten ist gekommen. Etwas Tödliches ist … Weiterlesen

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Flimmern und flirren

Gepriesen sei ein solches Tauschgeschäft auf Vertrauensbasis: Wuppertals Von der Heydt-Museum zeigt eine Auswahl seines expressionistischen Besitzes im Pariser Musée Marmottan Monet – und hat im Gegenzug leihweise rund 30 Spitzenwerke Claude Monets erhalten. Hinzu kommen passende Ergänzungen aus etlichen anderen Häusern. Grandioser Effekt: Jetzt können in Wuppertal herausragende Beispiele aus allen wesentlichen Werkphasen des berühmten Impressionisten präsentiert werden.

Mit dem Wort „Sensation“ sollte man allzeit vorsichtig umgehen. Doch hier dürfte es angebracht sein. Denn einen vergleichbaren Gesamtüberblick zu Monet hat es – kaum glaublich – in Deutschland noch nicht gegeben.

Gewiss: Das Weltkunstwerk „Impression – soleil levant“ (Impression – Sonnenaufgang) zählt n i c h t zu den Leihgaben. Eine entsprechende Anfrage verstieße gegen alle internationalen Gepflogenheiten unter Museumsleuten. … Weiterlesen

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Max Goldt: Zimbo, Zimbo und nochmals Zimbo

Skandal ! Betrug ! Ich habe „Ein Buch namens Zimbo“ gelesen – und nirgendwo auch nur die leiseste Äußerung darüber gefunden, was es mit diesem „Zimbo“ denn auf sich hat. Oder sollte ich ausgerechnet jene zwei bis drei Zeilen auf Seite xyz übersprungen haben, in denen mir Auskunft zuteil geworden wäre? Wohl kaum. Es wäre fahrlässig, in diesem kanari-knallgelben Buch überhaupt etwas auszulassen.

Ist aber auch schnurzegal. Denn es handelt sich ja um ein Werk von Max Goldt, der die Leser schon mal ganz gern nett nasführt. Doch im Grunde treibt er beileibe nicht nur Schabernack, sondern gibt vielfach ein vernünftiges Maß der tagtäglichen Dinge. Man unterschätze das nicht in einer Zeit, in der so vieles verrutscht ist. Wir könnten … Weiterlesen

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Wo man endgültig stirbt

Ein Mann in den frühen Sechzigern kommt morgens in sein Arbeitszimmer. Am Schreibtisch sitzt seine Ehefrau. Er schöpft zuerst keinen Verdacht. Sie scheint in Lektüre versunken zu sein. Wahrscheinlich korrigiert sie wieder einen seiner Aufsätze – wie schon so oft seit so vielen Jahren.

Doch sie ist tot.

Sie hat ein letztes Schriftstück hinterlassen, korrigierende Anmerkungen offenbar, die sich freilich nach und nach als grundsätzlich gegen ihren Mann gerichtete Suada erweisen. Am Schluss dieser Ausführungen, aus denen fortan ausgiebig zitiert wird, verläuft ihre Handschrift zunehmend fahrig, schließlich taumelt sie ins Nichts.

Nach und nach scheint uns der Autor Matthias Politycki (wohl bekanntestes Werk: „Weiberroman“) nun die Anatomie der ehelichen Beziehung nachzureichen. Aber seine „Jenseitsnovelle“, der Titel deutet es schon an, … Weiterlesen

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Musiker-Anekdoten: Mi-mi-mi-mausetot

Man denke nur: Auch den großen Musikern entfährt schon mal ein Fluch – oder es unterläuft ihnen sogar ein falsches Tönlein. Und die Tücke des Objekts (Instrument, Aufnahmetechnik) kommt immer mal wieder der hehren Kunstanstrengung in die Quere. Teufel auch!

Ein neues (das abertausendste?) Buch mit „Musiker-Anekdoten“ strotzt nur so vor lauter lauen „Ach was!“-Effekten, verabreicht unter heftigem „Augenzwinkern“. Es zeugt damit offenbar vom allgemeinen Übelstand der vermeintlich humorigen Gattung: Solche Anekdoten sind nicht nur überwiegend fade, sie sind tot. Mausetot. Röchelnd und rasselnd atmen sie den Geist einer Zeit, als Sänger noch unentwegt „Mi-mi-mi“ machten und als sich überhaupt Musikant wie Musikus klischeegerecht zu verhalten hatten.

Mal ein beliebiges Beispiel:

„Karl Böhm kam 1980 nach einem Liederabend, den Dietrich … Weiterlesen

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Bloß keine Posen mehr

Dieser böse Blick fürs Beschädigte, fürs stets und dauerhaft Misslingende! Welch ein illusionsloses Buch, wie misanthropisch und pessimistisch das alles klingt. So sicher scheint sich die namenlose Ich-Erzählerin ihrer Weltverachtung zu sein, dass ihre Tiraden manchmal geradezu in einen Kolumnen-Plauderton verfallen. Ganz so, als müsse sie sich nur noch aus einem fertigen Fundus bedienen, um unentwegt den heillosen Nachteil des Geborenseins zu beklagen.

Die finstere Inventur klingt dann beispielsweise so: „Die Menschen hatten ihre niedlichen Momente, doch das täuschte nicht darüber hinweg, dass die meisten von überwältigender Einfalt und Niedertracht waren (…) Jeder fühlte sich dem anderen überlegen, und daraus bildete sich ein Dauerton der Aggression (…)“

Ja, zum Teufel, worum geht es denn überhaupt? Um Sibylle Bergs neuen Roman … Weiterlesen

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„Ruhrgold“ und silberne Pommes-Picker

Hurra! Jetzt gibt es kein Halten mehr. Heute (9.9.09) ist der Online-Shop der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 ins Netz gegangen.

Jetzt soll es also heißen: Her mit den Logo-verzierten Kulis, Tassen, Lesezeichen, Schirmen, T-Shirts („schikkobello“), Ansteckern, Feuerzeugen etc. etc. Wozu das Zippo dient? Na, klar: „Die Kulturhauptstadt anfachen“ und „entflammen“. Und überhaupt: Mit all diesen Produkten kann man nun laut Werbung zeigen, dass man dabei ist und dazugehört. Kein Geknötter und keine Widerrede jetzt! Auf einer Tasse prangt die Losung zur Revierbürgerpflicht: „Metropole Ruhr. Alles andere ist kalter Kaffee.“ Na, bitte!

Nun gut. Bei den eigentlichen kulturellen Projekten von Ruhr2010 gibt es noch so manche Unwägbarkeit, auch mussten leider schon ein paar Vorhaben aus Finanzgründen abgeblasen werden. Da mutet es ein … Weiterlesen

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Funny van Dannen: Saugefährliche Katzenpisse

Denn siehe, hier kommt eine gute Nachricht: Funny van Dannen klampft wieder. Er versprüht abermals seinen skurrilen Charme – auf der neuen CD „Saharasand“. Alles andere wäre aber auch jammerschade gewesen.

Wie soll man das musikalische Tun und Trachten dieses Mannes jemandem beschreiben, der ihn noch nie gehört hat? Nun, er klingt meistens so, als schrammle und singe er unverzagt am immerwährenden Lagerfeuer. Manchmal hört er sich schier nach altvorderen Schlagerbarden wie – im Extremfalle – Martin Lauer („Taxi nach Texas“) an. Sag ich jetzt mal ganz ungeschützt. Aber irgendwie bringt Funny van Dannen (Jahrgang 1958) es fertig, selbst solche Vorlagen mit „Kult“-Verdacht zu veredeln. Ohne großen Aufwand, just mit einer (scheinbaren?) Naivität des frischen Zugriffs gesegnet. Auch der Titel … Weiterlesen

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Kann man Erdbeeren schälen? – Jürgen Beckers Buch „Im Radio das Meer“

Dieses Buch sollte besonders langsam und sorgsam gelesen werden. Jeder Satz will hier für sich stehen, als Fragment besehen werden – und sodann im größeren Ganzen. Jürgen Becker gibt seinem neuen Buch „Im Radio das Meer“ als Untertitel abermals eine Art Gattungsbezeichnung mit auf den Weg: „Journalsätze“.

Rückblick: 2003 war „Schnee in den Ardennen“ als „Journalroman“ erschienen, 2006 haben sich „Die folgenden Seiten“ als „Journalgeschichten“ angeschlossen. Roman – Geschichten – Sätze. Es mutet fast an wie Tucholskys berühmte Stufenleiter „Sprechen – Schreiben – Schweigen“. In Dreijahresschritten hat sich also die Form (bzw. ihre Bezeichnung) zusehends konzentriert, verkürzt.

Wenigstens zwei Möglichkeiten liegen nahe: Der Stoff kommt immer gedrängter und damit vielleicht wesentlicher daher. Oder er schnurrt allmählich auf eine Schwundstufe zusammen, … Weiterlesen

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Norbert Tadeusz und der collagierende Blick

Dem Werk des gebürtigen Dortmunders Norbert Tadeusz (Jahrgang 1940) kann man sich von vielen Seiten her nähern. Wollte man den physischen Zugang betonen, so würde man sich wohl bevorzugt seinen Fleisch-Bildern widmen. Deren immer wieder obsessiv durchmessene Bandbreite reicht vom prall ausgekosteten Frauenakt bis zum tierischen Kadaver im Schlachthaus. Begehren und Blut. Vital und letal.

Doch es gibt nicht nur diese (bestürzend) sinnliche, sondern auch eine übersinnliche, traumverlorene Dimension dieses Schaffens, die sich geisterhaft in allgegenwärtigen Schatten zeigt. Diesen Aspekt fasst nun das Museum Bochum in den Blick.

Die gemeinsam mit der Düsseldorfer Galerie Gmyrek in relativ kurzer Frist zusammengestellte Auswahl erstreckt sich aufs erste und zweite Geschoss des Hauses. Besonders stolz ist Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski darauf, dass … Weiterlesen

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Komm nach Hagen…

„Komm nach Hagen, werde Popstar“, so hieß vor langer Zeit ein knackiger Song von „Extrabreit“ – und danach eine in Westfalen oft zitierte „Spiegel“-Schlagzeile Anfang 1982. Damals machte die „Neue Deutsche Welle“ (NDW) etlichen Wind – erstaunlicherweise vor allem von Hagen aus. Diese Geschichte darf nun auf gehörig gehobenem Niveau-Plateau ergänzt werden. Demnach könnte es jetzt heißen: „Komm nach Hagen, sei ein Kunstfreund.“ Oder bleibe es…

Am 28. und 29. August wird in der sonst meist nicht allzu aufregenden und schon gar nicht glamourösen Stadt ein „Kunstquartier“ eröffnet, das im Lande seinesgleichen sucht und zu einer Bastion der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 werden kann.

Neue Rangfolge im Land

Gewiss: Köln und Düsseldorf bleiben die vorherrschenden Metropolen der musealen Szene in NRW. … Weiterlesen

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Wer ohne Sünde ist…

Die meisten Kunstausstellungen vergleichen in erster Linie Bild mit Bild, ja sozusagen Pinselstrich mit Pinselstrich. Einige aber setzen ausdrücklich Bild und Wirklichkeit miteinander in Beziehung. Zu dieser anregenden Sorte gehört jetzt auch „Freiheit – Macht – Pracht“ im Wuppertaler Von der Heydt-Museum.

Hier wird niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts („Goldenes Zeitalter“) vornehmlich als Ausdruck der damaligen Politik, Wirtschaft, Religion und Gesellschaft verstanden. Daraus ergeben sich vielfach erhellende Ansichten.

Katalog und/oder Führung sind diesmal besonders ratsam: Denn erst wenn man die Hintergründe kennt, sieht man die Bilder mit anderen Augen. Bei all dem sollte man jedoch ihre Eigenständigkeit, ihren Eigen-Sinn zu schätzen wissen. Übers Dokumentarische hinaus bergen sie ja einen gehörigen künstlerischen „Überschuss“.

Die konfliktreiche Spaltung in nördliche (dauerhaft protestantische) und … Weiterlesen

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