Archiv des Autors: Bernd Berke

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.

Viertes Gebot: Du sollst dich nicht über Neil Young ärgern!

Ich habe mir – aus altgedientem, bislang oft belohntem Vertrauen – gleichsam „blind“ Neil Youngs CD „A Treasure“ besorgt. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit ohne jedes Probehören, ohne jede vorherige Information, quasi hechelnd im Pawlowschen Reflex, auf den bloßen medialen Zuruf hin: „CD von Neil Young kommt auf den Markt“.

Und schon war das Ding bestellt. Hätte ich nur zur Kenntnis genommen, dass der Kanadier hier mit den „International Harvesters“ (benannt nach einem Landmaschinenhersteller, daher auch das sorgsam auf „verblasst“ getrimmte Coverbild mit Traktor) musiziert hat, so wäre ich hellhörig geworden. So aber habe eine bittere Enttäuschung mit einem ansonsten verehrten Musiker erlebt. Eigene Schuld. Über mich selbst muss ich mich ärgern, nicht so sehr über Neil Young.

Nebenbei: Ich … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Bekenntnisse, Lebenswege, Rock & Pop, Tonträger | Verschlagwortet mit , | 2 Kommentare

Soziale Miniaturen (7): Herrenrunde

Kleinstädtisches Ausflugslokal, sonntags. Norddeutsche Herrenrunde am späten Nachmittag. Alle in den Sechzigern. Großväter, finanziell arriviert und arrondiert. Sie würden sich als gestandene Männer bezeichnen. Man ist mit dem Bürgermeister per Du.

Die ersten drei, vier Biere haben sie verdrückt. Man muss nicht lauschen, um manches zu hören. Jetzt schlägt einer vor, endlich mal den ersten Schnaps zu nehmen. Ein anderer möchte vorerst beim Bier bleiben. Gejohle am Tisch: „Entweder alle oder keiner!“ Man einigt sich schnell auf „alle“. Als einer im Lokal einen Weißwein trinkt, sind sie geradezu aufgebracht. Weißwein bei uns an der Küste! Unmöglich. Wahrscheinlich ein Pfälzer. Oder ein Schwuler. Hohoho.

Zwei Tische weiter begeht eine Frau den „Fehler“, diskret ihr Baby zu stillen. Die einschlägig geeichten Herren … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Lebenswege, Liebesleben | Verschlagwortet mit , , | 5 Kommentare

Paul Valéry: Das Denken am frühen Morgen

Es war ein ungeheures Unterfangen: Rund 50 Jahre lang (1895-1945) ist der französische Schriftsteller Paul Valéry in aller Heidenfrühe aufgestanden, um „geistige Gymnastik“ zu betreiben, wie er es nannte. Hätte er jeweils abendliche Bilanzen gezogen, so wäre sein Denken wahrscheinlich in andere Richtungen gegangen. In den Stunden zwischen Tau und Tag also sind jene zahlreichen „Cahiers“ („Hefte“) entstanden, insgesamt ein zerklüftetes, schluchtenreiches Textgebirge, eines der großen Zeugnisse menschlicher Denkanstrengungen. Vieles klingt noch heute so frisch wie ein neuer Morgen.

Valéry meidet es nach Kräften, auf ausgetretenen philosophischen Pfaden zu wandeln, jedes System ist ihm zuwider. „Die meisten Fragen der Philosophie scheinen mir nicht meine zu sein, abseitig und sogar bedeutungslos, – bar jeder Notwendigkeit…“ Auch verachtet er bloße Lektüren ohne … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Lebenswege, Literatur, Philosophie | Verschlagwortet mit , , | 2 Kommentare

Museum Bochum: Anatol und seine Arbeitszeit

Anatol neben seinem Bild "Brief einer sterbenden Lehrerin" (Acryl auf Pressspan, 1996)

Anatols künstlerische Arbeiten zu sehen, das ist das Eine. Ihn reden zu hören, das ist das Andere. Wobei natürlich eins mit dem anderen zu tun hat. Eine Präsentation im Museum Bochum legt jetzt Gewicht auf die leibhaftige Gegenwart des inzwischen 80-jährigen, staunenswert vitalen und nach wie vor handfest arbeitsamen Künstlers, der für so genannte „Ringgespräche“ im Kreise interessierter Besucher in die Revierstadt kommt. Er verlegt also seine „Arbeitszeit“ (Ausstellungstitel) an den Ort, wo sonst „nur“ Hinterlassenschaften der Künstler anzutreffen sind.

Das hört sich einigermaßen harmlos an, kann aber im Falle Anatols geradezu durchtrieben sein, jedenfalls geistig ungemein produktiv. Jeweils zwei Stunden dauern die inspirierenden Runden. Wer den einstigen … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Kunst & Museen, Lebenswege, Region Ruhr | Verschlagwortet mit , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Museum Bochum: Anatol und seine Arbeitszeit

Soziale Miniaturen (6): Im Herrenhaus

Die ältere Dame trägt wochentags stets einen schwarzen Kaschmir-Pullover. Sie sagt, sie sei einst Schauspielerin bei einem weltberühmten Regisseur gewesen. Beinahe achtlos lässt sie auch Namen wie Marianne Hoppe oder Will Quadflieg herabtropfen. Sie macht kein Aufhebens davon, sondern handelt es ab, als sei es selbstverständlich, derlei Theaterprominenz gekannt zu haben.

Sie lebt in einem weitläufigen Herrenhaus mit riesigem Park. Nebenher vermietet sie einige Ferienwohnungen auf ihren Latifundien. Weitere Domizile liegen in einer deutschen Metropole und in Übersee.

Früh hatte sie die Schauspielerei aufgegeben und sich in gewisse Formen des Journalismus eingefunden. Anfangs hat sie triviales Geschichten für damals noch florierende Illustrierte geschrieben. Später hat sie – unter Pseudonymen – Unterhaltungsromane mit billigem Lebenstrost verfertigt und schließlich ähnlich gelagerte Stoffe … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Lebenswege, Liebesleben | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für Soziale Miniaturen (6): Im Herrenhaus

Soziale Miniaturen (5): Eheliche Lektionen

Sprachkursus bei der VHS. Auch ein Ehepaar im fortgeschrittenen Alter nimmt teil. Sie ist Studienrätin für eine Sprache, die der hier zu lernenden eng verwandt ist. Sie bewegt sich also stets vornan – mit kaum verhohlener, mühsam gebändigter, nur deshalb nicht offen triumphaler Gebärde. Ihre gelebten Jahre sucht sie derweil mit aufgesetzter Jungmädchenhaftigkeit zu überspielen. Es wirkt nicht sonderlich würdig.

Ihr Mann ist Physik-Professor, von spürbar anderer Wesensart als sie. Ein spröder Geselle. Er hat sich offenbar widerwillig „mitschleppen“ lassen. Dementsprechend mürrisch quält er sich durch die Lektionen. Macht er einen Fehler, so kommt die Kursleiterin gar nicht dazu, ihn zu korrigieren. Dafür fühlt sich seine Frau zuständig, die schon auf der Lauer liegt und ihn entweder vernehmlich anzischelt oder … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Liebesleben | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Soziale Miniaturen (5): Eheliche Lektionen

Soziale Miniaturen (4): Sandburg

Ein zweijähriges Mädchen am Inselstrand. Selbstvergessenes Spiel. Die Eltern müssen nur zuschauen.

Da erscheinen zwei Gymnasialklassen (man bemerkt sofort den Mittelschichts-Habitus), sechstes und siebtes Schuljahr. Die Phase, in der es zu „knistern“ beginnt. Mindestens.

Zunächst die Mädchen. Eine von ihnen kümmert sich sogleich rührend um das Kleinkind, baut eine Sandburg mit ihm. Ganz aus freien Stücken. Ganz geduldig. Die anderen schauen interessiert hin, freilich mehr oder weniger verstohlen; manche vielleicht auch mit dem Vorbehalt, ob das denn „cool genug“ sei. Die eine, sozusagen Pionierin, macht unverdrossen weiter – und bricht alsbald den Bann. Ein ums andere Mädchen schließt sich dem Spiel an, bis schließlich ein ganzer Kreis beisammen ist, alle um das Kleinkind geschart, das beglückt lacht.

Von der so … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Kinderzeiten, Lebenswege, Unterwegs | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Soziale Miniaturen (4): Sandburg

Soziale Miniaturen (3): Profis

Vierköpfige Schülergruppe, nachmittags. Ungefähr 9 bis 10 Jahre alt. Plötzlich entfährt dreien von ihnen der gegen den Vierten gewendete Ruf: „Loser!“ Tadellos ausgesprochen, geradezu mit Kennerschaft dahingesagt. Man merkt die medial vermittelte Gewohnheit. Sagt man so. Macht man halt. Kommt in jedem dritten „Tatort“ vor. Anlass zweitrangig. Und sie kennen noch ganz andere Worte…

Dann die unvermeidliche und doch erstaunliche Steigerung: Die Drei skandieren „Mob-bing, Mob-bing, Mob-bing…“ Sie ironisieren es und lassen es doch nicht bleiben. Sie mobben sozusagen auf höherer Ebene, laut und schmutzig – und stehen zugleich drüber, sind abgebrühte Profis.

Zutiefst dümmlich und zugleich hochreflektiert.

Doch, das geht. Anything goes.… Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Kinderzeiten, Lebenswege | Verschlagwortet mit | 4 Kommentare

Soziale Miniaturen (2): Kontoauszug

Ein stilecht abgewrackter Punk schlurft daher, heftig tätowiert, flächendeckend gepierct. Wie es das Klischee verlangt.

Auf seinem rissigen Shirt prangt die Aufschrift „Ihr seid alle ätzend!“ Hasserfüllt die ganze Haltung, jeder Blick Abwehr und Angriff. Oh, der hat Schluss gemacht mit allen Übereinkünften. Der ist sternenweit entfernt von jedem Spießertum, von jeder Normalität. Fast könnte man ihn beneiden.

Doch was tut er jetzt? Er nestelt aus dem abgewetzten Rucksack seine EC-Karte der Volksbank hervor, verschafft sich routiniert Zutritt zum Raum mit den Geldautomaten seines Vertrauens. Zieht alsdann noch die Kontoauszüge, damit das gleichfalls seine Ordnung hat. Gewiefte Marketing-Strategen könnten mit ihm ein Filmchen drehen und so für die allseits tolerante Bank werben. Man will nicht wissen, über wie viel Geld … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Warenwelt & Werbung | Verschlagwortet mit , | Ein Kommentar

Gütige Diktatur

Der und jene könnten Anwandlungen haben. Sie könnten sich wünschen, eine „gütige Diktatur“ zu errichten. Dann würde vieles geradezu hingebungs- und liebevoll verboten, ja das Ungefüge würde gleichsam zärtlich von der Erde weggestreichelt.

Wohlig ließe man sich treiben zwischen zeitweiligem Überdruss und bleibendem Widerwillen gegen Dinge und Worte. Wachsende Verbotslust. Anschwellende Verfügungslaunen.

Nun aber frisch begonnen:

Internet? Schluss mit dem infantilen Quatsch. Fernsehen? Ab dafür! Mobiltelefonie? Weg damit. Schleunigst. Keine Leute mehr mit Headsets, die vor sich hin palavern und den Anschein erwecken, als führten sie wirre Selbstgespräche. Ist doch peinlich.

Stracks kommen nun die so genannten SUVs an die Reihe. Diese gewaltförmigen „Spaß“-Tonnagen mit gefühlten tausend PS. Alltagskriegsgeräte, Macht-Maschinen. Ab zum Schrottplatz, wo sie alle sinnvoll zu Granulat zermahlen … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Medien, Scherz, Satire, Ironie, Utopien, Wahnwitz | Verschlagwortet mit , , , , , | 2 Kommentare

Kraut und Rüben im Regal

Als die Frankfurter Rundschau (FR) weitaus bessere Zeiten gesehen hat als heute, gab’s dort im Feuilleton eine Kraut-und-Rüben-Rubrik, welche da schlichtweg hieß: „Neue Bücher, die FR-Leser interessieren könnten“.

Unter dieser Larifari-Zeile ließen sich Bände auflisten, die die Verlage der Redaktion geschickt hatten und wofür die Lesekapazität und/oder der Platz im Blatt mutmaßlich nicht reichen würden. Man darf annehmen, dass eine Sekretärin die dürren bibliographischen Angaben abgetippt hat und die Redakteure somit ein paar Sorgen weniger zu haben glaubten.

Waghalsige Überleitung: Auch ich habe es nicht geschafft, alle mir zugesandten Bücher gewissenhaft von A bis Z durchzulesen, wie es sich für eine tragfähige Rezension gehören würde. Also muss ich es hie und da bei Schnelldurchgang und Kurzvorstellung belassen – wie es … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Buchmarkt & Lesen, Literatur | Verschlagwortet mit , , , , , | Ein Kommentar

Abgesang auf alles

Lange nichts mehr gehört und gelesen von Friederike Roth. Seit Mitte der 90er Jahre hat sie keine literarischen Texte mehr publiziert. Jetzt ist ihre „Abendlandnovelle“ erschienen. Und die handelt just vom Anfangen, vom Neubeginn. Die ersten Zeilen lauten so:

„Am Anfang des Anfangs / also vor jedem Anfang / diese Leere voll Hoffnung / diese vibrierende Ruhe…“

Keine Novelle ist dies, sondern ein mäanderndes Prosagedicht, ein ausuferndes Lamento. Es liest sich wie ein Abgesang aufs einst so glorreiche Autorinnenleben ebenso wie aufs Dasein der ganzen Menschheit.

Früher, ja früher waren Anfänge noch verheißungsvoll. Nun aber, da die Jugendzeit dahin ist, gibt es nur noch „dieses verwahrlost verschlampte Jetzt“. Alles verfällt und vergällt einem daher schon den nächsten Anfang, dem … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Literatur | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Abgesang auf alles

Gereimtes oder Ungereimtes

Ich möchte hier einen Versuch wiederholen. Beim für immer entschlafenen Kulturblog Westropolis (2007-2010) hat es der entsprechende Thread über die Jahre hinweg auf rund 1500 Wortmeldungen gebracht. Man verzeihe mir den preiswerten kleinen Stolz, damit einen Rekord angestoßen zu haben, der dort nicht mehr gebrochen werden kann, weil jene Plattform der WAZ-Mediengruppe Anfang 2011 unwiederbringlich gelöscht worden ist.

Die Idee, wenn man sie überhaupt so nennen soll, ist denkbar simpel und keineswegs originell:

Statt eines Kommentars hinterlässt man/frau hier just einen selbst verfassten Zweizeiler, Vierzeiler, ein Sonett oder sonst etwas Gereimtes / Ungereimtes mit lyrischer Anmutung bis Zumutung.

Einstiegsschwelle niedrig, Skala der Ansprüche nach oben offen.

Als die A40/Bundesstraße 1 im Sommer 2010 fürs kulturhauptstädtische „Stilleben“ gesperrt wurde, gab es … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Sprache, Wahnwitz, Zweizeiler, Vierzeiler usw. | Verschlagwortet mit , , , , , | 120 Kommentare

Soziale Miniaturen (1): An der Kasse

Die Frau, wahrscheinlich in den Fünfzigern, ist vielleicht ein wenig verhuscht, aber überhaupt nicht verwahrlost. Sie hält noch etwas auf sich, wenn auch nicht mehr so viel wie ehedem. Sie ist auf unscheinbare, gläsern verletzliche Art adrett. Es ist, als stünde sie auf papierenen Füßen. Sie lebt allein, so viel scheint gewiss.

Sie steht an der Kasse. Bevor sie an die Reihe kommt, sortiert sie ihren bescheidenen Einkauf auf dem Laufband sehr sorgfältig um und um. Geradezu liebevoll. Unsinnig liebevoll.

Der Kassierer tippt die Beträge ein und drückt die Additionstaste. 19 Euro und… Mit Mühe kratzt sie knapp 16 Euro zusammen. Ihr hilfloser Blick.

Dieser Kassierer, ein massiver Mensch, schlägt vor: „Was brauchen Sie denn nicht so dringend? Dann lassen … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Warenwelt & Werbung | Verschlagwortet mit , , , | 8 Kommentare

Das Menetekel der Giraffe

Eigentlich wollte ich gestern ein paar Absätze über Bin Laden schreiben. Es wäre beispielsweise um Rechtsstaatlichkeit und christliche Werte gegangen. Dann aber dachte ich mir: Jeder Terrorexperte unserer Breiten hat bereits seine (Fern)-Diagnose auf den Markt der Meinungen geworfen. Da mache ich lieber was Abseitiges – und wenn ich’s aus der Archivkiste hervorzerren müsste. And here we go:

Kürzlich hat Katrin Pinetzki an dieser Stelle über eine Sprachmarotte der Pixi-Bücher geschrieben. Ich möchte ihre Analyse mit einem Deutungsversuch ergänzen, und zwar am Beispiel einer literarischen Hervorbringung der komplexen Sorte. Kenner ahnen es bereits beim ersten Blättern: Ohne hochspezialisiertes interpretatorisches Besteck wird in diesem Falle nichts zu gewinnen sein. Proust, Joyce und Musil lassen nolens volens grüßen.

Das vorliegende Buch hat … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Buchmarkt & Lesen, Kinderzeiten, Literatur, Scherz, Satire, Ironie, Wahnwitz | Verschlagwortet mit , , | 2 Kommentare

Erfüllter Wunsch

So ist das vielleicht mit allen erfüllten Wünschen: Auf einmal fehlt der ganz große Glanz, der schon seine funkelnden Vorboten ausgesandt hatte und den man sich vorher aus der Ferne erhofft hatte.

Nicht, dass nun alles schal schmeckte. Doch man muss von den ersehnten 100 Prozent etwas abziehen. Wieder mal keine Apotheose. Die Vorlust war abermals größer als die die Erfüllung.

Wer wird denn da an Erotik denken?

Es sei dargetan am banalen Beispiel: Gesetzt den Fall, man hätte die ganze Saison über, Spiel für Spiel, mit einem Fußballverein gefiebert (nennen wir ihn mal probehalber Borussia Dortmund), und der würde am Ende tatsächlich obsiegen, so wird sich in alle Freude etwas ernüchternd Prosaisches mengen. Kann es sein, dass viele just … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Kinderzeiten, Leibesübungen, Region Ruhr, Utopien | Verschlagwortet mit , , , , | 3 Kommentare

Der Name des Werkzeugs

(Möchtegern)-Intellektuelle halten sich etwas zugute – auf einen gewissen Wortschatz, auf ein hie und da, ja möglichst universell geschmeidig anwendbares, halbwegs hochgeschraubtes Reflexionsniveau nebst anhängendem Zynismus, der schon mal gar nichts gelten lässt. Und dann heißt es noch, die daraus resultierende Eitelkeit zu kaschieren. Eine Heidenarbeit, nicht immer von Nutzen gekrönt.

Solchen Leuten fehlt doch was?

Nein, nein, diesmal gibt’s keine Glaubenspredigt. Auch Hoffnung und Liebe wollen wir hier nicht aufrufen.

Aber denen, die mit Sprache zu schaffen haben, mangelt es beispielsweise oft am mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Rüstzeug. Ein alter Hut, doch immer noch der Rede wert. Man schlage bei Hans Magnus Enzensberger nach, der immer wieder auf dieses Thema zurückgekommen ist und die Ignoranz der Geisteswissenschaftler gescholten hat.… Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Sprache | Verschlagwortet mit , , , | Ein Kommentar

Was uns ins ferne Länder lockt – Cees Nootebooms „Schiffstagebuch“

Das kennen alle Menschen, die jemals von Fernweh ergriffen worden sind: Schon die bloße Nennung von Ländern und Städten oder ihr bloßer Anblick auf Landkarten kann einen dazu verführen, sich auf den Weg zu machen.

Auch Cees Nooteboom, einer der großen Reisenden der Gegenwartsliteratur, lässt sich auf diese Weise durch die Welt treiben: „…immer waren es Namen, die mich irgendwohin gelockt haben.“ Wer derart ins Ungewisse aufbricht, der will immer und immer hinter die jeweils nächste Wegbiegung schauen. Ein Ding der Unmöglichkeit. Irgendwann muss man aufhören, und sei’s mit der ganzen Lebensreise. Manches sehen heißt noch mehr versäumen. Und doch bleibt diese „Sehnsucht nach einer ewigen Bewegung ohne Ankunft und Aufbruch“.

Nootebooms „Schiffstagebuch“ ist längst nicht nur Wegbeschreibung und Ortserkundung, … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Literatur, Unterwegs, Weite Welt | Verschlagwortet mit , , , , , , | 5 Kommentare

Verbotenes Wort

Liebe Gemeinde!

Ihr habt noch keine Osterpredigt gehört? Hier ist sie:

Viele sind stolz, dass sie gar nicht(s) mehr ****ben. Dieses triumphale Gefühl geht oft einher mit „Sündenstolz“; ein Wort, das heute kaum noch jemand verwendet. Zuletzt habe ich es aus dem Mund des weltweisen Schriftstellers Feridun Zaimoglu gehört.

Jene, die noch an etwas ****ben, werden bestenfalls milde belächelt. Sie sind so überaus naiv. Sie haben kein Zeichen der Zeit erkannt. Manchmal wird der Un****be auch aggressiv. Verdammt unangenehm.

Tatsächlich ****bt in unseren Breiten fast niemand mehr felsenfest. Übermächtig scheinen die Gründe zur tausendfachen Skepsis. Verfall, wohin man schaut. Missratene Schöpfung. Wer aber ein weiter blickt, ist vielleicht gar nicht so heilfroh, vom ****ben abgefallen zu sein. Gewiss, wir haben … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Glaubensfragen | Verschlagwortet mit , , | 5 Kommentare

Sprache lieben, Sprache hassen

Gerade wenn man Sprache lieben gelernt hat, so kann man sie auch hassen; jedenfalls einige ihrer Ausprägungen. Wenn einem Schriftsteller erst einmal das süße Gift trefflicher Worte eingeträufelt haben, so erschrickt man umso mehr bei falschen Klängen. Haben einen Hölderlin, Rilke, Robert Walser, Kafka, Gernhardt oder Genazino (etliche andere Namen bitte freihändig einsetzen) mit ihren Tonfällen betört, so behagt manches aus den täglichen Niederungen nicht mehr. Dann muss man sich zuweilen klarmachen, dass doch längst nicht immer im hohen Ton gesprochen werden kann. Was wäre das für eine Welt? Man möchte doch bitte auch recht oft lax und nachlässig sein dürfen. Das ist Menschenrecht.

Doch es kann geradezu körperlich quälend sein, bewusstloses Gestammel zu vernehmen. Jetzt bloß kein wohlfeiles Wort … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Kultur an sich, Literatur, Sprache | Verschlagwortet mit , , , , , | 5 Kommentare

Der Tod des Margarine-Mädchens

Seit kurzem ist sie nicht mehr da. Sie hat uns wohl für immer verlassen;  eine Gestalt, die das deutsche Alltagsleben durch viele Jahrzehnte recht unscheinbar, doch stetig begleitet hat: das „Rama-Mädchen“.

Auf Schachteln, Bechern und Einwickelfolien war sie (in einer zunehmend stilisierten Tracht) all die Jahre treulich und sittsam zugegen. Ihr Erscheinungsbild hatte sich mit der Zeit gewandelt, aber man hat sie immer gleich wiedererkannt.

Doch die Hersteller der Margarine (Konzern Unilever) haben sich nun mal entschieden, der Marke ein völlig anderes Design beizumessen. Dafür haben sie ihre „Ikone“ geopfert, die – wie man nun gleichsam posthum erfährt – sogar einen Namen hatte, nämlich Jule. So hat das Seufzen der Nostalgiker wenigstens eine benennbare Adressatin: „Ach, Jule, kehr zurück!“ Doch … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Design, Warenwelt & Werbung | Verschlagwortet mit , | 5 Kommentare

Das Ruhrgebiet – von oben herab

Schon oft habe ich mich über die Münchner Arroganz geärgert, mit der die (ansonsten vielfach schätzenswerte) „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) immer mal wieder das Ruhrgebiet betrachtet – so schräg von oben herab, so triefend mitleidig.

Wir werden’s wohl wieder erleben, wenn Borussia Dortmund deutscher Fußballmeister wird. Dann wird mit ziemlicher Sicherheit die schonungslose SZ-Reportage erscheinen, die die soziale Verwahrlosung in Dortmund beklagt, um hernach zu betonen, wie wichtig doch ein sportlicher Erfolg für solch eine gebeutelte Stadt sei. Geschenkt, Leute! Bringt lieber etwas anderes. Lasst bitte euren Mitarbeiter Freddie Röckenhaus schreiben, der sich in Dortmund und mit dem BVB auskennt.

Gestern haben die Südlichter mal wieder ahnen lassen, was ihnen das ach so ferne Revier bedeutet. Die ruhmreiche Seite 3 ward … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Medien, Region Ruhr | Verschlagwortet mit , , | 6 Kommentare

Uwe Timms „Freitisch“: Frühling der Freiheit

Ich gebe gern zu: Die frühen 1960er Jahre sind bis heute meine Lieblingszeit. Zum einen zählten sie zur eigenen, noch nicht so recht bewussten Frühphase, zum anderen wurden damals all die kleinen Freiheiten noch eher spielerisch erprobt, um die man später so erbittert gestritten hat. Kein Wunder, dass gerade zu dieser Zeit die Beatles aufkamen. Sie haben anfangs so überaus zuversichtlich geklungen…

Warum ich das so ausgiebig darlege? Weil Uwe Timms neue Novelle „Freitisch“ in jenen Jahren spielt und somit bei mir schon vorab einen Extra-Bonus bekommt, ebenso wie der in langen Jahren vertraut gewordene Autor. Das sind natürlich keine genuin literarischen Kriterien, sondern zunächst Sympathiewerte, die jedoch auf Erfahrung fußen. Außerdem liest man auf der Basis von Sympathie einlässlicher … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Literatur | Verschlagwortet mit , , , | Ein Kommentar

„Apokalypse Afrika“: Auf Dauer ratlos

Diese Lektüre bringt einen ins Schlingern. Manchmal weiß man gar nicht mehr, in welchem Land Afrikas man sich gerade befindet, so sehr schwirrt einem der Kopf vom beschriebenem Chaos. Tatsächlich sind ja vielfach die staatlichen Strukturen fast gänzlich zerstört.

Hans Christoph Buchs neuer Band „Apokalypse Afrika“ setzt u. a. in hochkolonialistischer Zeit an und protokolliert mehrmals mit zeitgenössischen Berichts-Fragmenten die Kongo-Konferenz, die 1884/85 in Berlin stattgefunden hat. Die Europäer hielten sich damals einiges darauf zugute, dass sie der offenen Sklaverei und dem „Negerhandel“ abschworen. Nach außen hin nüchtern und rational, in pathetischen Momenten gar nahezu karitativ, doch in Wahrheit zutiefst gierig, suchten sie hier ihre Interessen-Sphären und Handelszonen aufzuteilen, wobei manche Passage so klingt, als sei damals vor allem Portugal … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Literatur, Weite Welt | Verschlagwortet mit , , | 5 Kommentare

Ein Kulturblog? Aber ja!

Herzlich willkommen bei www.revierpassagen.de

Wer gehört zum Autorenteam der „Revierpassagen“? Es sind weit überwiegend Journalistinnen und Journalisten mit langjähriger Erfahrung im Kulturbetrieb und speziellen Sparten-Kenntnissen. Die allermeisten leben im Ruhrgebiet oder haben hier längere Zeit gewohnt. So ergeben sich gewisse Schwerpunkte wie von selbst.

Die „Revierpassagen“ handeln also vom Ruhrgebiet („Revier“) und von Kultur, aber längst nicht nur davon.

Mit „Revier“ ist denn auch generell ein Gelände gemeint, durch das man Streifzüge unternehmen oder flanieren kann.

Im Wort „Passagen“ schwingt das Vorübergehen mit, letztlich auch das Vergängliche. Passagen von hier nach da, mal mit, mal ohne konkretes Ziel, doch mit möglichst offenen Sinnen. Text-Passagen können ebenfalls gemeint sein. Und wenn man ganz weit nach oben schaut, gibt es da als … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Allgemein, Netzwelten & KI | Verschlagwortet mit , , , , , | 15 Kommentare

Ehebriefwechsel der Tolstojs: „Du schienst mir alt, mager und bedauernswert“

„Nun will ich mich meinem Ideal der guten, vor allem tätigen und zu allem begabten Hausfrau annähern.“ So bereitwillig diente sich Sofja Tolstaja geb. Behrs ihrem weltberühmten Ehemann an, dem russischen Schriftsteller Lew Tolstoj („Krieg und Frieden“, „Anna Karenina“).

Das Zitat stammt vom 5. Dezember 1864 und steht damit noch ziemlich am Beginn des umfangreichen Briefwechsels, der das beständig wogende Auf und Ab dieser Beziehung nachzeichnet. Das gemeinsame Glück war auf Dauer gleichsam streng bemessen.

Die Briefsammlung wird als Weltpremiere angepriesen: Erstmals sind die Schreiben beider Eheleute im Dialog zu lesen. Erstaunlich nur, dass dies erst jetzt möglich ist. Zur editorischen Vorgeschichte gehört, dass Sofja Tolstaja auf Lews misogyne „Kreutzersonate“ entschieden mit ihrem Kurzroman „Eine Frage der Schuld“ antwortete, der … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Lebenswege, Liebesleben, Literatur | Kommentare deaktiviert für Ehebriefwechsel der Tolstojs: „Du schienst mir alt, mager und bedauernswert“

Die Berliner Mauer küssen

Die ARD-„Tagesthemen“ schaue ich nur selten an. Umso verblüffter war ich gestern, als am späten Abend ein geradezu launiger Beitrag über Objekt-Sexualität die Sendung beschloss – gleichsam als Überleitung zu Harald Schmidt, der anschließend auftrat.

Objekt-Sexualität? Jawohl. Manche Menschen können keine Menschen lieben, sie verlegen sich auf Dinge. Die „Tagesthemen“ stellten eine Amerikanerin namens Erika Eiffel vor, die einst den Eiffelturm geliebt und sogar geheiratet hat, sich dann aber wieder ihrer Jugendliebe zuwandte: der Berliner Mauer. Beziehungsweise dem, was davon übrig ist.

Gleich in der ersten, künstlich romantisierten Einstellung sah man, wie die Frau die Mauerreste an der Bernauer Straße innig küsste. Versonnen blätterte sie in einem Album mit Mauerbildern und zeigte ihre Tattoos (klar: Eiffelturm und Mauer). Hernach wurde … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Liebesleben, Medien | Verschlagwortet mit , , | Ein Kommentar

Fuchteln für den Vorteil

Eine Fußball-Untugend geht mir zunehmend auf den Geist, auch weil sie weit über den Sport hinausreicht und vom Zustand der Gesellschaft zeugt.

Ist eine Szene noch im Gange oder gerade vorbei, wird sofort (in Zehntelsekunden-Schnelle) ein Vorteil für die eigenen Farben reklamiert. Schon vollends automatisiert sind die Gesten, mit denen Spieler immer gleich lauthals Einwurf, Ecke oder gar Elfmeter „für uns“ fordern. In hitzigen Spielphasen wird fast in jeder Situation derart wild gestikuliert und dramatisch gefuchtelt. Also nicht, weil die Protagonisten tatsächlich glaubten, sie lägen richtig, sondern just, weil der Schiedsrichter beeinflusst werden soll. Auch will man so die Emotionen der eigenen Fans anstacheln. Die wahrhaftigen Anhänger, so wäre zu hoffen, sähen ihr Team lieber ohne solche Hampelei gewinnen. Es … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Leibesübungen | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Fuchteln für den Vorteil

Ürzung für Ürzung

Mit Abkürzungen hat man oft seine liebe Not. Erläuterungen füllen dickleibige Speziallexika. Einiges hat sich ja eingebürgert, doch vor allem Fachleute aller Art verstehen einander mit Kürzeln. Wenn umständliche Wörter häufig vorkommen, so empfiehlt sich halt eine knappe, möglichst prägnante Buchstabenfolge. Zum Exempel sagen sie beim Westdeutschen Rundfunk intern „Nami“ statt „Nachrichtenminute“. Warum auch nicht? Klingt doch putzig.

Eine spezielle Sorte von Abkürzungen zielt allerdings gerade nicht auf Experten, sondern eher auf unbedarfte Endverbraucher: Es sind jene furchtbar bemühten, sprachlich arg überstrapazierten Fügungen, deren ausgewählte Initial-Buchstaben mit Ach und Krach ein ganzes Wort ergeben, das man sich im Idealfalle leichter merken kann. Um einigermaßen Deckungsgleiche zu erzielen, denkt man sich irrwitzige Wortketten mit „passenden“ Anfangslettern aus. Für trockene bürokratische Akte … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Sprache | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Ürzung für Ürzung

Zurück zum Körper

Immer raffiniertere Techniken haben unser Leben entsinnlicht, so dass sich das Bedürfnis einstellt, verlorene Körperlichkeit wiederzugewinnen. Das ist ein Grundgedanke, der den Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht umtreibt – und beileibe nicht nur ihn.

Der in Würzburg geborene Gumbrecht (Jahrgang 1948) war bereits mit 26 Jahren Professor in Bochum, wechselte dann an die Uni Siegen, lehrt seit 1989 an der Stanford University (Kalifornien/USA) und gilt als einer der einflussreichsten Geisteswissenschaftler deutscher Herkunft. Geographisch, biographisch und thematisch hat er einen weiten Horizont. Beispielsweise hat er schon früh (bevor es intellektuelle Mode geworden ist) auch Phänomene des Sports in den Blick gefasst.

Im neuen Aufsatzband „Unsere breite Gegenwart“ verfolgt er Spuren einer noch ausführlich zu schreibenden Geschichte der Körperlichkeit. Ein schmales Buch, doch … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Geschichte, Gesellschaft, Literatur, Natur Klima Umwelt, Philosophie | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Zurück zum Körper

Ergiebige Heimatkunde

Das glauben vielleicht viele zu können: „Einfach“ über einen seltsamen Verwandten schreiben, dessen Dasein einem auf der Seele liegt. Aber wehe, wenn man es versucht. Dann kommt in den seltensten Fällen Literatur dabei heraus.

Umso höher ist dieser Schriftsteller einzuschätzen: Andreas Maier (Jahrgang 1967, Romanerfolg „Wäldchestag“) erinnert sich in „Das Zimmer“ eingehend an seinen „Onkel J.“ Dieser nur mit dem Initial benannte Mensch war geistig zurückgeblieben, nach seinerzeit landläufigen Maßstäben also ein „Idiot“. Doch sein nahezu unbemerkt und folgenlos verstrichenes Leben war, so wie Maier davon berichtet, durchaus bemerkenswert.

Zum einen verblieb Onkel J., trotz (vornehmlich nach innen gekehrter) aggressiver Anwandlungen, im nahezu kindlich-naiven Stande der Unschuld, zum anderen brachte er ungewollt einige Wesenszüge der Wetterau auf den (weitgehend wortlosen) … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Gesellschaft, Literatur, Stadt Land Fluss | Verschlagwortet mit | Kommentare deaktiviert für Ergiebige Heimatkunde

Ian McEwans Roman „Solar“: Verheddert und verkleistert

Michael Beard ist veritabler Nobelpreisträger für Physik. Doch sein Leben ist ziemlich verpfuscht. Seine Frau betrügt ihn – zunächst mit dem vierschrötigen Handwerker Tarpin, dann auch noch mit dem idealistischen Nachwuchs-Wissenschaftler Tom Aldous. Beruflich dümpelt Beard als Leiter eines unsinnigen Instituts nur noch halbwegs komfortabel dahin. Allmählich verfettet er und trinkt ohnehin zu viel Alkohol. Etwas Trost findet er beim einen oder anderen Weibe.

So ein Tropf ist die Hauptfigur in Ian McEwans Roman „Solar“. Der Titel verweist auf die allfällige Klimadebatte und auf die Sonnenenergie, welche die angebliche Apokalypse aufhalten soll. Beard ist in dieser Hinsicht äußerst skeptisch, wenn nicht gar zynisch. Er will sich einfach auf nichts mehr festlegen – weder wissenschaftlich noch erotisch. Auch eine (streckenweise hinreißend … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Literatur | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Ian McEwans Roman „Solar“: Verheddert und verkleistert

Überall Bananen!

Heute ein weiterer Beitrag in der Reihe „Man muss nicht alle Künstler mögen.“

Vor einiger Zeit habe ich mich an dieser Stelle über Ottmar Hörl und seine Plastik-Viecher ereifert. Dessen Hervorbringungen sind aber noch gar nichts gegen die Monokultur des Thomas Baumgärtel. Der Mann hatte mal eine Idee, nämlich möglichst den ganzen Globus mit Bananen zu bedecken. Diesen Einfall verfolgt er seither mit Furcht erregender Besessenheit.

1983 begann es mit der „Kreuzigung einer Banane“. 1986 verzierte Baumgärtel erstmals einen Kunstort mit einer gesprayten Banane. Die gebogenen Schablonen hat er seither denkbar häufig eingesetzt. Man glaubt es kaum, wie sich dies zur Manie steigern konnte: Bis heute hat er rund 4000 Stätten (vornehmlich Museen und Galerien) bananig und bananisierend heimgesucht. Dafür … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Kunst & Museen, Wahnwitz | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Überall Bananen!

Raddatz-Tagebücher: Im Haifischbecken der Literatur

Diese Lektüre hat sich hingezogen. 907 Seiten (plus Register) umfassen die Tagebücher der Jahre 1982-2001, die der Großkritiker, Autor und Publizist Fritz J. Raddatz jetzt vorgelegt hat. Es ist ein Wechselbad aus spannenden und ärgerlichen Passagen.

Frank Schirrmacher, FAZ-Mitherausgeber und früher FAZ-Kulturchef, wird auf der Rückseite des Buchs in goldenen Großbuchstaben zitiert: „Dies ist er endlich, der große Gesellschaftsroman der Bundesrepublik!“ Wie zum Dank für die jubelnde Empfehlung erscheint Schirrmacher in Raddatz‘ Tagebüchern nahezu als Lichtgestalt, als gebildet, höchst intelligent und allzeit gedankenschnell, überdies habe er zeitweise das beste Feuilleton der Republik geleitet. Beinahe so etwas wie eine jüngere Ausgabe seines Vorbildes Raddatz also.

Man kennt sich, man hilft sich? Nun ja. Meist ist das Gegenteil der Fall: Im grässlich … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Buchmarkt & Lesen, Gesellschaft, Lebenswege, Literatur | Verschlagwortet mit , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Raddatz-Tagebücher: Im Haifischbecken der Literatur

Stilp!

Es ist von einem seltsamen Phänomen zu berichten. Entfernt ähnelt es dem von Axel Hacke vielfach dargestellten „Wumbaba“-Effekt: Bei Liedtexten kann man sich gehörig verhören, so dass etwa in Matthias Claudius‘ „Abendlied“ („Der Mond ist aufgegangen“) die Zeilen „Und aus den Wiesen steiget / Der weiße Nebel wunderbar“ zum politisch nicht ganz korrekten „Und aus der Isar steiget / Der weiße Neger Wumbaba“ geraten.

Nun zur artverwandten Erscheinung, die einer Kippfigur gleicht, welche (je nach Betrachtungsweise) vexierbildhaft umschlägt: Seit Jahren widerfährt mir dies an der A 40 in Essen, wo ein abgestellter Anhänger für ein örtliches Möbelhaus wirbt, das „Stilphase“ heißt. In Worten: „Stil-Phase“. Doch diesen Aspekt muss ich mir eigens aufsagen. Denn unwillkürlich lese ich im Vorüberfahren stets nur … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Sprache | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Stilp!

Die Bestseller der NS-Zeit

Das Nazi-Regime war – wie man weiß – totalitär, und doch ging es in vielen Bereichen „ungeordnet“ bis chaotisch zu. Auch die literarischen Präferenzen waren letztlich nicht ausgemacht.

Christian Adam (Abteilungsleiter Bildung und Forschung bei der Birthler-Behörde) hat in seinem sehr materialreichen, doch nicht allzu stringent strukturierten Buch „Lesen unter Hitler“ zusammengetragen, was nur irgend in der NS-Zeit Bestsellerauflagen erzielt hat. So kommt weniger der explizite Ungeist von NS-getreuen Autoren (Johst, Blunck, Behrens-Totenohl, Vesper) zur Sprache, sondern in erster Linie populäre Publikationen.

Das Spektrum reicht von anfangs noch erlaubten Groschenheften bis zur Kinderliteratur („Heidi“, „Biene Maja“). Gewichtiger noch: Sachbücher und Ratgeber („Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, FKK-Broschüren mit „arischer“ Schlagseite, Reemtsma-Bildsammelalben zu Olympia 1936 u.a.) nehmen breiten Raum … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Geschichte, Gesellschaft, Literatur | Kommentare deaktiviert für Die Bestseller der NS-Zeit

„Tatort“-Buch: Mord an der Sprache

„Tatort“-Städte sehen im Fernsehen ganz anders aus als in der Wirklichkeit. Nun ja, man hat es sich wohl gedacht, dass uns bei der Gelegenheit keine 1:1-Realität dargeboten wird.

Doch mehr noch: Komplette Szenenfolgen werden gleich ganz woanders gedreht. So entstehen etwa Münsteraner „Tatorte“ der Logistik wegen (WDR-Zentrale mit allen Schikanen am Ort) weitgehend in Köln. Auch befinden sich alle (!) Tatort-Kommissariate des SWR in einem einzigen Gebäude zu Baden-Baden. Okay, das sind auch keine Sensationen, aber es klingt schon interessanter, weil konkreter. Doch die Verfasser eines neuen Sachbuchs mögen’s auf weite Strecken lieber wolkig.

In insgesamt 17 Beiträgen erscheint die populärste deutsche Krimireihe zumeist als schieres Konstrukt regionaler Zuschreibungen, die oft genug in Klischees abgleiten. Der Untertitel des Bandes lautet … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Buchmarkt & Lesen, Medien, Sprache | Ein Kommentar

Eine Zeit in der Hölle

Zwei Halbwüchsige, Bruder und Schwester, haben ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Seither bleiben auch ihre Nächte seltsam taghell. Es ist ein bedrohliches Gleißen in der Welt. Immerzu. Und alle Nähe ist zunichte. Die Geschwister fühlen sich „wie Vögel in einem Sandsturm“. Es gibt keine Zuflucht.

Roberto Bolaños illusionslos lakonischer, nur 110 Seiten starker „Lumpenroman“ bewegt sich sehr nah am erlittenen Augenblick und wirkt zugleich verhangen, traumverloren, surreal; ganz so, als könne dies alles nicht wirklich sein, als sei die Realität rundum ausgetröpfelt. Zitat: „…wobei wirklich nur eine andere Unwirklichkeit bezeichnet, eine weniger zufällige, besser gerüstete Unwirklichkeit…“ Unversehens, in den schlaflos hellen Nächten, blitzen manchmal Gesichte und Visionen auf.

Bruder und Schwester verharren im wunschlosen Unglück, sie können nicht einmal … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Literatur | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Eine Zeit in der Hölle

Schlingensief: Erst kommt das Chaos des Lebens

Der Regisseur Christoph Schlingensief ist mit 49 Jahren an Krebs gestorben. Im November 2006 hatte er einen nunmehr doppelt denkwürdigen Auftritt im Dortmunder Konzerthaus. Dieser zwangsläufig noch nicht pietätvolle Artikel des jetzt trauernden B. B. stand am 15.11.2006 in der Westfälischen Rundschau und lässt vielleicht ein wenig ahnen, wie vital und springlebendig Schlingensiefs irrlichternder Geist gewesen ist. So viele überschießende Ideen wie er haben jedenfalls nur wenige Menschen. Längst nicht alle hat er ins Werk setzen können.

Dortmund. Konzerthauschef Benedikt Stampa hat das Publikum gewarnt: Heute werde es kulturell „ans Eingemachte“ gehen. Kein leeres Versprechen. Denn der Mann, der danach die Bühne betritt, ist Christoph Schlingensief. Dieser umtriebige Aktionskünstler, Theater- und Filme-Macher („Terror 2000“) gilt vielen als „Provokateur“ und „Enfant … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Musik & Konzert, Region Ruhr, Rock & Pop, Theater, Utopien, Wahnwitz | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Schlingensief: Erst kommt das Chaos des Lebens

Ottmar Hörl: Haufenweise Kunst-Stoff

Es juckt mich schon lange, einmal über den Künstler Ottmar Hörl zu schreiben. Nur gleich frisch heraus mit meiner Meinung: Seine auffälligen Aktionen langweilen durch penetrante Wiederholungsträchtigkeit. Auch halte ich sie weder für gedankenreich noch für gedankenstiftend.

Jetzt ist der Hansdampf wieder zugange, diesmal auf dem Marktplatz zu Wittenberg, wo er gleich 800 Plastik-Figuren des einstmals ortsansässigen Martin Luther aufstellen lässt. Wenig einfallsreicher Titel der Aktion: „Martin Luther – Hier stehe ich.“ Er kann eben nicht anders. Bis zum 12. September sollen die grünen, roten, blauen und schwarzen Reformatoren in Wittenberg zu sehen sein, anschließend werden sie für 250 Euro pro Stück verkauft (signiert je 500 Euro, ab 2011 dann 700 Euro).

Der Süddeutschen Zeitung (SZ) ist dieses einfältige Brimborium … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Kunst & Museen | Verschlagwortet mit | 2 Kommentare